Warum ein Vorarlberger Künstler den Akt ad acta gelegt hat

Kultur / 03.12.2021 • 10:00 Uhr
Warum ein Vorarlberger Künstler den Akt ad acta gelegt hat
Edgar Leissing mit aktuellen Arbeiten in seinem Atelier. Angela Hennessey

Edgar Leissing realisiert im aktuellen Lockdown zudem die Aktion „Bunt gegen den Coronablues“.

Schwarzach Seit rund eineinhalb Jahren sind wir gezwungen, jene Körperteile zu bedecken, die davor selbst dann frei bleiben durften, wenn es der Anstand gebot, sich ziemlich hochgeschlossen zu zeigen. Man weiß, was gemeint ist, der medizinische Mund-Nasenschutz bzw. die FFP2-Maske ist zum wichtigsten Accessoire in der Pandemie geworden. Als beim ersten Lockdown bis hin zu den Landesgrenzen wirklich alles geschlossen blieb, was nicht dem Vertrieb von Lebensmitteln oder Pflegeprodukten diente, ließ sich ein Künstler in Vorarlberg, ein sehr bekannter, erstens vom kompletten Aus für Kunst und Kultur nicht entmutigen, und er besann sich zudem auf die Aufforderung, Regionales zu erwerben: Edgar Leissing (Jahrgang 1960) schuf jeden Tag eine Aktzeichnung, verzichtete dabei selbstverständlich auf ein Feigenblatt, versah die stehenden, liegenden oder kauernden Körper aber mit dem Mund-Nasenschutz. Im Vergleich zum schwarzen Stift durfte dieser in allen Farben schillern, schließlich ging es auch darum, die Menschen aufzuheitern.

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Im ersten und zweiten Lockdown wurde täglich ein Akt geschaffen. Hennessey

Digital übermittelt, waren die Werke zu betrachten, wer einen Akt erwarb, bekam ihn kontaktfrei geliefert. Die meisten kommentierten die Aktion erfreut, wer sie hingegen gar für eine artikulierte Zumutung hielt, wurde umgehend aus der Verteilerliste gestrichen. Da die Kreativität in Leissings Atelier trotz düsterer Perspektiven für die Kulturbetriebe nicht versiegte, wurde im zweiten Lockdown aktuell mit Modellen gearbeitet. Als in Vorarlberg im Frühjahr Kulturbetriebe neben der Gastronomie und dem Handel – wenn auch unter strengen Auflagen – wieder geöffnet waren, wurde die Aktion beendet.

Mischwesen waren lange vorherrschendes Thema im Werk von Edgar Leissing. <span class="copyright">VN</span>
Mischwesen waren lange vorherrschendes Thema im Werk von Edgar Leissing. VN

Dass es in Sachen Solidarität, Vernunft, Eigenverantwortung oder auch beim Abstandhalten im Land derart hapert, dass trotz der nun für alle zur Verfügung stehenden Impfmittel wieder ein harter Lockdown nötig wird, war im Frühherbst noch nicht zu befürchten. Die Tatsache, dass es so weit kam, rief bei Leissing aber wiederum keine Schockstarre hervor, in den Novembernebel blickend, entwarf der Künstler den Slogan „Bunt gegen den Coronablues“. Und wie zuvor war auch seine Frau Angela eine wichtige Impulsgeberin. Seit 22. November wird Tag für Tag eine Collage im Format von 25 Mal 25 Zentimetern geschaffen.

Seit Jahrzehnten entwirft Edgar Leissing auch die Plakate für die Produktionen des Bregenzer Theaters Kosmos. <span class="copyright">VN</span>
Seit Jahrzehnten entwirft Edgar Leissing auch die Plakate für die Produktionen des Bregenzer Theaters Kosmos. VN

Die Werkserie bzw. die Arbeitstechnik ist im bisherigen OEuvre des Vorarlbergers verankert, wer die Plakate für die jüngste, nun verschobene Produktion „Limbus“ des Theaters Kosmos sieht, erkennt die Motive, die ihn nun beschäftigen. Ein Atelierbesuch der Kosmos-Leiter Hubert Dragaschnig und Augustin Jagg war zudem motivierend, waren diese doch von den abstrakten Bildern angetan.

Etwas Warmherziges

Leissing erwähnt auch einen weiteren Aspekt. Der Künstler, der seine figürlichen Arbeiten gerne mit Wortkombinationen wie „TugendterrorTantentäuscher“ oder „Speichelflugkuratorengelaber“ betitelt, wollte der oft als kaltherzig bezeichneten Politik schlicht und einfach etwas Warmherziges entgegenhalten. Den Einwurf, dass seine „Bunt gegen den Coronablues“-Serie nun wohnzimmertauglich geworden ist, kommentiert er pragmatisch. Dann sei es eben so. Ja, er habe oft mitbekommen, dass die Akte erstens nur in den Privaträumen aufgehängt und dass sie zweitens dann oft von den Wohnzimmern doch ins Schlafzimmer verbannt wurden.

Wenn er nun im Gespräch mit den VN verkündet, dass es mit dem Akt nach Jahrzehnten endgültig vorbei sei, dann habe das allerdings nur einen Grund, nämlich, dass er schlicht und einfach keine Nackten mehr zeichnen will. Eine Ausnahme bleibt: Edgar Leissing ist auch Pädagoge an der Kunstschule Liechtenstein. Wenn dort das Aktzeichnen auf dem Lehrplan steht, wird es ausgeführt.