Keine Scheu vor der harten Nummer

Kultur / 05.12.2021 • 21:53 Uhr
Tassilo Tesche hat die Produktion ausgestattet.

Tassilo Tesche hat die Produktion ausgestattet.

Georg Büchners “Lenz” zeigt, wie lustvoll das Vorarlberger Landestheater auch seinem Bildungsauftrag nachkommt.

Bregenz Noch vor der Zeit, in der die Spielpläne durch die mit der Pandemie begründeten Aufführungsverbote durchlöchert wurden, konnte das Vorarlberger Landestheater mit einer hervorragenden „Woyzeck“-Produktion Weltliteratur anbieten. Dass die Auseinandersetzung mit dem bedeutenden Dichter Georg Büchner (1813-1837) in diesem Unternehmen Konsequenz hat, wird durch den mittlerweile vierten Lockdown (der für Kunst und Kultur unnachvollziehbarerweise zuletzt oft länger dauerte als für andere Branchen) kaum noch sichtbar. Deshalb sei erwähnt, dass der aktuellen „Lenz“-Produktion bald „Leonce und Lena“ folgen soll. Dieser vordergründig heiteren Liebesgeschichte dürfte somit in hohem Maße politische Aufladung widerfahren. Man darf darauf ebenso gespannt sein wie auf die Aufführung des „Lenz“ als Solostück vor Publikum, dessen Endprobe für ein Streaming von Sarah Mistura filmisch festgehalten wurde.

Dass ausgerechnet die oft zitierte, aber schwer fassbare „Lenz“-Erzählung überhaupt ins Programm kam, dokumentiert, dass das Landestheater dem zwar nicht gern erwähnten, aber existierenden Bildungsauftrag nachkommt. Durchaus lustvoll übrigens, denn Regisseur Jürgen Sarkiss ist kein Pauker und er begegnet dieser harten Auseinandersetzung eines jungen Menschen mit sich, der Welt und der Wirklichkeit nicht aus der Perspektive des Misanthropen. Die psychische Erkrankung der literarischen Figur, die Büchner nach dem Bericht des elsässischen Pfarrers Johann Friedrich Oberlin zeichnete, bei dem sich der Dichter Jakob Michael Reinhold Lenz (1751-1792) eine Zeitlang aufhielt, verkommt auch nicht zum Weltschmerz. Büchner war auch gegenüber wissenschaftlichen und medizinischen Forschungen seiner Zeit höchst aufgeschlossen, im „Lenz“ spiegeln sich nicht nur pathologisch beeinflusste Denkabläufe, sondern auch ein Ringen um eine individuelle Freiheit angesichts apodiktischer Aussagen, die die Lebensentwürfe zu bestimmen hatten.

Aspekte der Popkultur

Solche damals stark religiös gefärbten Bilder sind zeitlos aktuell. Hier setzt die Inszenierung in der Ausstattung von Tassilo Tesche an. Nico Raschner spielt die Figur mit leiser Nachdenklichkeit, lautem Suchen und sich steigernder Wut. Dass sich bei jedem Schritt eine Manieriertheitsfalle auftut, in die es sich so leicht tappen ließe, erspürt er genau. Ob es folgerichtig ist, ihn auch als Gefangenen innerhalb einer Art Raumkapsel zu zeichnen, die wie ein akustischer Verstärker wirkt, ist in der filmischen Version nicht zu klären. Den lockeren Umgang mit den Aspekten der Popkultur über die Kameraführung zu verstärken, erhöht jedenfalls die Spannung. Ein auf Bühnen oft zu sehender Effekt wirkt hier weder abgenützt noch ausgedünnt. Es bleibt somit nur die Frage, warum das Streaming-Angebot auf nur wenige Stunden beschränkt war. Hoffen wir also, dass wir wichtige Denkanstöße bald wieder – wenn auch unter strengen 2G- oder noch schärferen Pandemie-Maßnahmen – verantwortungsvoll Abstand haltend im Theater erfahren dürfen.

Nico Raschner in der Produktion „Lenz“ nach Georg Büchner am Vorarlberger Landestheater. vlt/köhler
Nico Raschner in der Produktion „Lenz“ nach Georg Büchner am Vorarlberger Landestheater. vlt/köhler

Aufführungen sind vorläufig bereits ab 15. Dezember im Theater am Kornmarkt in Bregenz geplant. Die Produktion bleibt bis April auf dem Spielplan des Landestheaters.