Hier bleibt keine Zeile von Richard Wagner übrig

Necati Öziri hat es gewagt, die „Ring“-Tetralogie zu „korrigieren“.
ZÜRICH Soll man sich wehren gegen Richard Wagner? Viele Zeitgenossen und Nachfahren haben es getan. Vielleicht mag man ja den Überwältigungsanspruch seiner Opern nicht und hält sie für ideologisch bedenklich. Oder man findet diesen Gesamtkunstwerker nach allem, was man über ihn zu wissen glaubt, unsympathisch. Der 1988 geborene deutsche Autor und Dramaturg Necati Öziri hat sich gegen Wagner gewehrt mit einer „Korrektur“ von dessen Marathon-Opus „Der Ring des Nibelungen“. In der Regie von Christopher Rüping, der die Idee, einen „Ring“ zu realisieren, an Öziri herangetragen hat, ist das Stück jetzt am Schauspielhaus Zürich uraufgeführt worden.
Erstaunlich gut
Öziri hat hier 2019 schon einmal einen Klassiker „korrigiert“. Damals versuchte er eine Novelle von Kleist antirassistisch und antisexistisch auf die Theaterbühne zu bringen. Diesmal lautet sein Rezept: Gegen Wagner mit möglichst wenig Wagner in den „Ring“ steigen. Und vielleicht funktioniert der Abend gerade deshalb erstaunlich gut. Das eigentliche Thema heißt: Wie könnten es die „Ring“-Figuren besser machen im Leben? Mit essayistisch anmutenden Monologen, mit denen sich die Schauspieler in fantasievollen Kostümen (Lene Schwind) allerdings direkt ans Publikum adressieren, zerstückelt und „korrigiert“ Öziri bereits den Machtanspruch von Wagners Idee eines Gesamtkunstwerks.
Öziri hat sich inspirieren lassen von Charakteren aus dem originalen Figurenarsenal. Der gemobbte Zwerg Alberich wird zum Anlass, um den Schauspieler Nils Kahnwald über Attraktivität und Einsamkeit nachdenken zu lassen. Wiebke Mollenhauers Brünnhilde befreit sich von der Rolle als Wotans Lieblingstochter, und auch Maja Beckmanns Göttergattin Fricka lotet neue Selbstverwirklichungschancen aus. In synchronen Wörterketten-Duetten hauen Benjamin Lillie und Steven Sowah ihre Wut heraus über ihr Schicksal als Kinder jener Riesen, die für Wotan die Burg Walhalla erbaut hatten. Matthias Neukirch legt einen fulminanten Auftritt hin als Wotan, der mit Ideologie-Resten herumfuchtelt, und die Erda von Yodit Tarikwa sagt den Untergang einer von Ich-Bezogenheit durchseuchten Welt voraus. Dauerpräsent als DJ und Tänzer ist der charismatisch-locker agierende Black Cracker, der die Klänge eines „Orchesters“ von acht komponierenden Musikern verströmen lässt. Wie das wummert und groovt, singt und rapt, ergibt ein Opern-Feeling der speziellen Sorte, wobei gelegentlich auch verfremdete Zitate von Wagner zu entdecken sind. Gegen dessen über hundertköpfiges Orchester kommt der Hip-Hop-Oper-Sound freilich nicht an. Einen halbesoterischen Touch bekommt das „Nachspiel“, in dem man von der Bühne, die eine Kerzengießer-Fabrik zeigt, Kerzen abholen darf.
Weitere Vorstellungen (gegen 4 Std.) am 9., 10., 15., 20., 25. und 26. Februar. www.schauspielhaus.ch