Ein gekonntes Spiel mit Ungesagtem

Roman „Amur, großer Fluss“, der zweite Roman der Engadiner Autorin Leta Semadeni, ist eine Liebesgeschichte in Episoden. Und ein gekonntes Spiel mit Ungesagtem. Als Olga noch ein Kind war, besuchte sie mit ihrem Großvater ein Konzert, an dem die „Nocturnes“ von Chopin gespielt wurden. Später erinnert sie sich, wie ihr beim ersten Ton Flügel gewachsen und sie während des ganzen Konzerts im Saal über den Köpfen geschwebt sei. Was Chopin bei der Protagonistin mit Musik auslöste, schafft die Autorin Leta Semadeni mit Sprache. In kurzen, scheinbar unzusammenhängenden Episoden erzählt sie von Olga und Radu, deren Beziehung vor allem aus Abschieden und Warten besteht.
Vieles bleibt ungesagt zwischen Radu und Olga. Doch das macht den Reiz von „Amur, großer Fluss“ aus. Jeder Satz deutet etwas an, lässt etwas nachklingen und bleibt lange in der Schwebe. So haftet dem Roman etwas Märchenhaftes an. Wie schon Semadenis Romandebüt „Tamangur“ liest sich auch ihr Zweitling stellenweise wie ein Gedicht.
“Amur, großer Fluss”, Leta Semadeni, Atlantis Verlag, 144 Seiten