Billie Clarken entlarvt im Lusteneuer Dock 20 das Eigenleben medialer Bilder

Hinter Hecken und Falltüren lauert die Erinnerung.
LUSTENAU Uneinsehbar zunächst, steht hinter der immergrünen Buchsbaumhecke eine Schaukel und es könnte alles so schön sein. Doch die Gartenidylle gibt sich nicht einmal die Mühe, uns einen paradiesischen Rückzugsort vorzugaukeln. Die Hecke erhebt sich bedrohlich massiv, das Schaukelgestell ist rostig und in die Jahre gekommen und die darin aufgehängten Bilder lösen ambivalente Gefühle aus. Im Hortus Conclusus, den die junge amerikanische Künstlerin Billie Clarken für den großen Ausstellungsraum des Dock 20 geschaffen hat, ist die Realität so greifbar, dass sie schon wieder unwirklich scheint.

Für ihre erste institutionelle Solo-Ausstellung zieht Billie Clarken, die ausgehend von der Fotografie multidisziplinär arbeitet und sich in den letzten Jahren mit installativen Werken einen Namen gemacht hat, alle Register. Der „Pictorial Turn“, die Hinwendung zum Visuellen in der vielzitierten, von Internet, Hochglanzmagazinen oder den Aktivitäten auf diversen Social-Media-Kanälen befeuerten medialen Bilderflut, beschäftigt auch die in Berlin lebende Künstlerin. Ausgehend von diesem reichlich zur Verfügung stehenden Bildmaterial hinterfragt sie Bildpolitiken der zeitgenössischen Kulturindustrie und lotet die Faszination von Inszenierungen aus, die das tatsächliche Erleben und Erfahren längst überholt und übertroffen haben. Prominentenikonologie, Starkult, Schönheitswahn, der Kampf um eine eigene Identität und um die Kontrolle bzw. den Kontrollverlust über das eigene Leben, wenn es in Form von (manipulierten) Bildern, die im digitalen Raum ein geisterhaftes Eigenleben führen, in den Fokus des öffentlichen Interesses rückt, sind die Themen, an denen sich Billie Clarken in durchaus eigenwilliger Bildsprache und vielschichtigem Kontext abarbeitet. So tauchen im Werk immer wieder gefallene Größen auf, Menschen, die an den Verwertungsmechanismen des um sie herum betriebenen Starkults und an diesem Druck zerbrochen sind.

Beispielhaft dafür hechtet im Vorraum Mickey Rourke in einem auf Schaumstoff gedruckten, mit Metallspitzen gespickten Filmstill als Wrestler durch die Luft. Das Drama von 2008 erzählt die Comeback-Geschichte eines abgehalfterten Wrestlers und weist unverhohlen Parallelen zur Biografie des bekannten US-Schauspielers auf, der nach einem Filmflop zwischenzeitlich auch als Profiboxer aktiv war, bevor ihm „The Wrestler“ seine erste Oscar-Nominierung bescherte. Nichtsdestotrotz erteilt die Künstlerin dem Neuanfang offenbar schon im Titel der Ausstellung eine klare Absage: „Cancel the Reboot“ (Den Neustart abbrechen). Wenig beeindruckt davon, holt sich Clarken, die in Neukölln lebt, für die Reihe „Trap Doors“ (Falltüren) ausrangierte Kühlschranktüren der Marke „exquisit“ vom Sperrmüll. Als Memoboards ausgestattet, reanimiert zu einem Afterlife, bedruckt mit Fotos von Kühlschranktüren, gespickt mit Souvenirs, Fotos, Notizen und Postkarten, erzählen sie fiktive Erinnerungen und kreieren ebensolche Identitäten. Ein nettes Detail, auf das Clarken auch anspielt: Der Begriff „White Cube“ bezeichnete früher nicht den neutralen Ausstellungsraum, sondern Kühlschränke.

Eine andere Persönlichkeit, mit der sich die Künstlerin befasst hat, ist die als Erotikmodel und später als Schauspielerin bekannt gewordene Anna Nicole Smith. Die blonde Ikone verstarb 2007 an einer Überdosis Medikamente. Ihr tragisches Ende schien wie die Bestätigung dafür, dass niemand die enorme Last seines in den Medien omnipräsenten Bildes auf Dauer tragen kann. Das Foto, auf Schaumstoff in hellem Bordeauxrot, hängt im Schaukelgestell, die ebenfalls bedruckte Rückseite zeigt zwei erlegte Rehe, die zum Ausbluten aufgehängt wurden und viele Assoziationen, auch an Beute oder Trophäen, wachrufen. Aneignung, Reproduktion und Entfremdung von Bildern bestimmt auch die Reihe „You Oughta Be in Pictures”. Hier bedient sich die Künstlerin aus dem von der amerikanischen Kleidermarke Abercombie & Fitch zwischen 1997 und 2003 vierteljährlich herausgegebenen Magazin. Die Fotos, sexuell überladen und als rassistisch kritisiert, verursachten zu ihrer Zeit einen Skandal, verfehlten aber nicht ihren Zweck als werbewirksames Mittel. In der Entfremdung der Version von Billie Clarken werden die Bilder als gescratchte Drucke durch Rubbeln freigelegt und offenbaren subtile Abgrenzungen, Brüche und das Offenlegen einer scheinbar heilen Fassade. Ariane Grabher

Die Ausstellung ist im DOCK 20, Kunstraum und Sammlung Hollenstein, Pontenstraße 20, Lustenau, bis zum 14. Mai geöffnet, Do von 14 bis 20 Uhr, Fr und Sa von 14 bis 18 Uhr.
Zur Person
Billie Clarken
Geboren: 1992 in Fairfax, Virginia/USA
Ausbildung: Fotografie- und Filmstudium an der Virginia Commonwealth University in Richmond/USA, Gaststudentin an der UdK Berlin bei Monica Bonvicini
Laufbahn: Ausstellungen in Berlin, London, Paris, New York, Tampa/Florida, Los Angeles
Auszeichnungen: Finalistin der Berlin Masters 2020
Wohnort: Berlin