Wie der Sex ins Kunsthaus kommt

Zum großen Ausstellungsprojekt “Continent” von Dora Budor in Bregenz.
Bregenz Mit „Continent“ ist die Ausstellung von Dora Budor (geb. 1984 in Zagreb, in New York lebend) im Kunsthaus Bregenz übertitelt, „inkontinent“ würde genauso passen und das ist nicht einmal despektierlich gemeint, sondern von der Künstlerin selbst so erwähnt. Unbeabsichtigt wird es nicht gewesen sein. Somit lässt sich die Auseinandersetzung mit der glatten Beton-Glas-Architektur von Peter Zumthor als Aufzählung männlicher und weiblicher Aspekte oder Klischees lesen, jedenfalls ist fast alles, was es in den vier bzw. fünf Etagen sowie jenen im Untergrund, den man sich imaginieren muss, sexuell aufgeladen.

Keine Ahnung, ob es Sexspielzeuge gibt oder gegeben hat, die in Funktion nicht nur vibrieren, sondern, die sich auch akustisch bemerkbar machen, jedenfalls wird mit der Arbeit „Termites“ im obersten Stockwerk des KUB behauptet, dass ferngesteuerte, das Belüftungssystem in den Wänden penetrierende Sextoys Schwingungen und Geräusche erzeugen. „Als einen Angriff auf die Unversehrtheit des Ausstellungsraumes“ will Budor die Arbeit verstanden wissen, die das Gebäude in einen „kontinuierlichen Erregungszustand“ versetzt.
Männliche Architektur?
Natürlich kann der oft als männlich apostrophierten Architektur von Peter Zumthor so begegnet werden. Irritierend ist dabei, dass das Sexuelle oft mit Schmutz in Verbindung gebracht wird. Und das nicht nur, wenn man die Beschreibung der Arbeit „Love Streams“ von Erika Landström zur Hand nimmt, um ihr zu entgegnen. Nein, Schleifpapier wird nicht in erster Linie dazu verwendet, um Flächen von unerwünschten Substanzen zu befreien, Flächen werden damit geglättet. Hier wird das mit Partikeln versehene Papier zum Trägermaterial eines zu Pulver verriebenen Antidepressivums, aus dem sich Bilder schaffen ließen, die Frottagen gleichen, auch wenn die eigentliche Technik der erwähnten Frottage hier wohl nicht zur Anwendung gekommen ist.
Eine ob der Patina der Einzelobjekte ästhetisch ansprechende Installation aus Gussformen nennt Dora Budor „Male Molds“. Die männliche Konnotation lässt eher nicht den Schluss zu, dass wir vor einem „Chor aus weiblichen Torsos“ stehen, im Kontext der Ausstellung nimmt das Bild von Gegenständen, die in ein Material gedrückt werden überhand.

Während die mit Noah Barker entstandene Videoarbeit „Chase Manhattan“ den Abtransport des Bauschutts eines Wolkenkratzers thematisiert, der einst nach Plänen einer Frau errichtet wurde, legt Budor in Bregenz das Material hinter den KUB-Wänden frei bevor es sich – was hoffentlich noch lange nicht passieren wird – mit dem Sichtbaren als Schutt vermengt.

Das Kunsthaus ist – wie es heuer zum 25-jährigen Bestehens sicher wieder erwähnt wird – wegen des schlammigen Untergrunds auf Piloten errichtet, die eine schützende Betonwanne tragen, in der das eigentliche Gebäude steht. Aus den unterirdischen Stollen wurden für die Objekte „Kollektorgang“ Abdrucke entnommen, die im ersten Obergeschoss einen Raum im Raum bilden. Interessant ist das Material. Während Latex sicher nicht nur die Assoziation hervorruft, dass damit Rückstände von Oberflächen entfernt werden können, besteht die Vorderseite der Wände aus Papierbeton, für den geschredderte Schriftstücke verwendet wurden. Auch wenn da oder dort ein Buchstabe sichtbar wird, sind die Inhalte nicht, wie erwähnt, auf Verwaltungsarbeiten zu beziehen, sondern rein der Fantasie überlassen. Ähnliche Vorstellungskraft brauchen die Hockey-Pucks im zweiten Obergeschoss, will man die aus Kaffeesatz gepressten Teile mit Aufputschmitteln oder Verdauungsvorgängen in Verbindung bringen. Schöner und poetischer ist die Vorstellung einer Hommage an Pierre Huyghe, für den vor Jahren im Kunsthaus eine Eisfläche errichtet wurde.
Sehr konstruiert
Die männlich-weiblich-Themen lassen sich weiter verfolgen. Ein kleines, beim Stiegenaufgang angebrachtes Zeitungsbild zeigt eine phallusförmige Granate aus dem Jahr 1916. Im Erdgeschoss verweisen ringförmige Gebilde auf das Readymade „Enduring Ornament“ von Elsa von Freytag-Loringhovens. Es soll von der Künstlerin als solches bezeichnet worden sein bevor Marcel Duchamp mit seinem berühmt gewordenen Fahrrad-Rad oder dem Flaschentrockner daherkam. Dora Budor eignet sich den Ring an und ließ ihre Ringe aber wiederum aus den geschmolzenen Metallteilen eines Fahrrads herstellen, das sie in Berlin benutzte, das deshalb „die Streifzüge durch die Stadt wie eine Karte in sich barg“. Wenn man dann noch mitdenken soll, dass Freytag-Loringhovens der ringförmige Gegenstand – ihr Readymade – kurz vor der Eheschließung ins Auge fiel, dass dieses „Enduring Ornament“ also mit Rechtsansprüchen und einer nunmehr „eingeschränkten Sexualität“ in Verbindung steht, wird es zwar nicht kompliziert, aber trotz aller Anregungen, die sie zu Architektur und Geschichte bietet, irgendwo halt sehr konstruiert.
Dennoch, ein inkontinentes Kunsthaus, in dem dieses Gebäude erregende Sextoys stecken – dieses Bild wird man nicht so schnell wieder los. Wer die Architektur in der Tat als männlich empfindet, der mag vielleicht auch daran Gefallen finden.
Eröffnung der Ausstellung am 18. März, von 17 bis 20 Uhr. Geöffnet bis 26. Juni, Di bis So, 10 bis 18 Uhr, Do bis 20 Uhr.
Dora Budor
Geboren 1984 in Zagreb
Ausbildung Design- und Architekturstudium in Zagreb, Kunststudium in New York
Werdegang zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen in namhaften Institutionen in den USA, Europa
und Asien
Wohn- und Arbeitsort New York

