Emotionale Achterbahnfahrten

Kultur / 18.03.2022 • 16:54 Uhr
„Atemhaut“Iris BlauensteinerKremayr & Scheriau160 Seiten

„Atemhaut“

Iris Blauensteiner

Kremayr & Scheriau

160 Seiten

Iris Blauensteiner schreibt mit sprachlicher Sensibilität.

Roman Nach „Kopfzecke“ bringt die österreichische Autorin und Filmemacherin Iris Blauensteiner nun den Roman „Atemhaut“ heraus. Sie entwirft darin das Porträt eines Mannes, der zwischen realer und virtueller Welt pendelt, und beschreibt seine physisorientierte Befindlichkeit mit bemerkenswerter sprachlicher Sensibilität. Wir schreiben das Jahr 1999, gezahlt wird noch in Schilling, aber Videogames mit Ego-Shootern und Zombies sind schon im Umlauf. Edin ist Lagerarbeiter in einem Logistikzentrum, seine Familie kommt aus Jugoslawien, seine Großeltern sind dort im Krieg umgekommen. Die Eltern erwarten viel von Edin: „Wir haben den Weg für dich bereitet, es ist an dir, ihn weiterzugehen.“

Edin ist ehrgeizig. Umso heftiger trifft ihn die Entlassung, als der Körper nicht mehr mitspielt. Seine Freundin Vanessa – eine starke, verständige Frau – steigt hingegen in der Firma zur Abteilungsleiterin auf. Es wird eng für Edin.

Besonderer Kunstgriff

Blauensteiner findet für Edins emotionale Achterbahnfahrten und seine psychosomatischen Zustände eine überaus einfühlsame bildhafte Sprache. Ein besonderer Kunstgriff gelingt ihr, indem der Protagonist weder in der Ich-Form noch in der dritten Person berichtet, sondern mit „du“ angesprochen wird. Ein „du“, das sich an Edin richtet, als erklärte ihm jemand, was in ihm und um ihn vorgeht, aber ebenso von Edin an den Leser gemeint sein könnte und jedenfalls eine außerordentliche erzählerische Unmittelbarkeit herstellt. Das ist nicht unbedingt neu, aber hier sehr konsequent und stimmig angewendet. Zudem lässt sich via QR-Codes ein atmosphärisch kompatibler Soundtrack von Rojin Sharafi downloaden.

Was in tragisches Pathos kippen könnte oder ins sozialromantische Gegenteil, bleibt trotz geradezu poetisch anmutender Passagen wohltuend nüchtern. Die titelgebende Atemhaut korrespondiert mit dem maschinenhaften Funktionieren, vom dem sich Edin ganz am Schluss distanzieren kann. Die Lösung scheint in der Beziehung zu Vanessa zu liegen.

Die Filme von Iris Blauensteiner (geb. 1986 in Wien), die sie seit 2004 umsetzt, zuletzt „Die Welt ist an ihren Rändern blau“,“die_anderen_bilder“, „Rast“ und „Schwitzen“, waren auf internationalen Festivals zu sehen. Kürzere Texte wurden seit 2010 in Anthologien und Literaturzeitschriften veröffentlicht, 2016 erschien der Romanerstling „Kopfzecke“.