Beiläufiger Frauenmord an der Staatsoper

Kultur / 22.03.2022 • 19:08 Uhr
Christian Gerhaher (Wozzeck) und Anja Kampe (Marie).
Christian Gerhaher (Wozzeck) und Anja Kampe (Marie).

Neue „Wozzeck“-Produktion als filmisch abgespulte Alltagsschilderung.

Wien Wozzecks Mord an Marie sei nicht ableitbar aus der vielfachen Opferrolle des Mannes. Es gäbe genügend Menschen in ähnlichen Situationen, die trotzdem nicht gewalttätig werden, erklärt Simon Stone noch im Programmheft-Interview der Wiener Staatsoper. Als Regisseur offenbart er allerdings das, was in den Berichten vieler Frauenmorde, die in der österreichischen Gegenwart gerade eine erschreckend hohe Zahl erreichen, noch mitschwingt, nämlich die Meinung, dass sich die Frau wohl auch irgendwie falsch verhalten habe und damit den Mann zur Tat trieb.

Das erst Jahrzehnte nach dem Tod von Georg Büchner erschienene Dramenfragment „Woyzeck“ bleibt als 1913 erstmals aufgeführtes Schauspiel sowie als 1925 unter dem Titel „Wozzeck“ präsentierte Oper von Alban Berg diesbezüglich eine Herausforderung. Das Scheitern daran nimmt sich an der Wiener Staatsoper sehr bunt aus, erntete am Montagabend beim Premierenpublikum überwiegend, aber nicht nur Zustimmung und liest sich nicht mehr als die oft thematisierte Nachkriegstraumatisierung eines Soldaten (wie sie etwa William Kentridge bei den Salzburger Festspielen betonte), sondern als filmisch abgespulte Alltagsschilderung mit Einblicken in prekäre Lebensverhältnisse in der Gegenwart.

Comichaftes

Bob Cousins hat dafür ein sich schnell drehendes Podium gebaut. Rasierstube, Wohnung, Maries Bett, die Arztpraxis, ein Würstelstand, die Schlange vor dem Arbeitsamt, ein Fitnessstudio, ein Gschnas im Wirtshaus und eine U-Bahn-Station mit Obdachlosen ziehen in raschem Tempo vorbei. Das Wien-Kolorit sowie banale Grobheiten erfahren in diesem nur mit viel Bühnentechnik realisierbaren Konzept allerdings stärkere Fokussierung als die psychologische Ebene, für die Stone gerade einmal ein paar rasch eingestreute Schreckensvorstellungen parat hält. Was Wozzeck, den von der Mitwelt malträtierten Mittellosen, plagt, hat Christian Gerhaher als kaum an allem Teilnehmender zu vermitteln. Mit stimmlicher Präsenz und Sensibilität rettet der schon oft bei der Schubertiade gefeierte Bariton das, was die Inszenierung dem Werk weitgehend versagt. Alltagskleidung sowie bunte Tierkostüme (Alice Babidge und Fauve Ryckebusch) verleihen den Bildern etwas Comichaftes. Erst beim Wiesenstück, auf dem der Mord an der untreu gewordenen Marie geschieht, steht die Szene still. Die Frauenleiche wird im Kanal entsorgt, die des Mannes wird warnend in Richtung Schnürboden gezogen.

Man erinnert sich, dass Andrea Breth an der Staatsoper Berlin vor Jahren schon ein Karussell zur Anwendung brachte und dabei viel Seelenpein bei genauem Eingehen auf die Musik thematisierte.

In Wien bleibt die Diskrepanz zwischen der an Stilen und Rhythmen reichhaltigen Partitur und der plakativen Optik offenkundig. Mit Anja Kampe, einer starken Marie, und Jörg Schneider als ganz und gar nicht eindimensionalem Hauptmann ergibt sich zumindest musikalisch ein vielschichtiges Bild, das Philippe Jordan mit dem Staatsopernorchester präzis gestaltet.

Szene aus der Neuinszenierung von Alban Bergs Oper „Wozzeck“ in Wien. Staatsoper/Pöhn
Szene aus der Neuinszenierung von Alban Bergs Oper „Wozzeck“ in Wien. Staatsoper/Pöhn

Nächste Aufführung von „Wozzeck“ an der Wiener Staatsoper am 24. März und zahlreiche weitere Termine: wiener-staatsoper.at