Ein großartiger und denkwürdiger Konzertabend

Die Aufführung mit Julia Fischer und dem Rundfunksinfonieorchester Berlin wurde zu einer Sternstunde.
Bregenz In Cardiff wurde Tschaikowski vom Konzertprogramm gestrichen, die Stadt Bregenz hat sich der Ächtung russischer Kunst aber zum Glück nicht angeschlossen.
Im letzten Meisterkonzert mit dem Rundfunksinfonieorchester Berlin (RSB) wurde Musik von Schostakowitsch, Prokofjew und Rachmaninoff aufgeführt, unter der Leitung des russischen Chefdirigenten Vladimir Jurowski. Er hat einen bereits von über 100 Künstlern, u. a. Franz Welser-Möst oder Sir Simon Rattle, unterzeichneten Appell initiiert, den Krieg Russlands gegen die Ukraine zu verurteilen, jedoch keinen Boykott gegen (bela)russische Künstler zu verhängen und sie nicht zu öffentlichen Stellungnahmen zu drängen. Die Geigerin Julia Fischer hat in Bayern Benefizkonzerte für die Ukraine gegeben. Es waren also besondere Umstände, unter denen dieses Konzert stattgefunden hat.

Schostakowitschs erstes Violinkonzert konnte erst 1955 aufgeführt werden, sieben Jahre nach seiner Vollendung, da dem Komponisten (wie auch Prokofjew) im Zuge des Kalten Krieges „formalistische Verzerrungen und antidemokratische Tendenzen“ vorgeworfen wurden. Die Aufführung in Bregenz mit der Weltklassekünstlerin Julia Fischer und dem grandios aufspielenden RSB wurde zu einer Sternstunde. Vom dunklen Beginn an folgte das Publikum in atemloser Spannung der Entwicklung einer quasi unendlichen Melodie in der Violine. Fischer spielt ohne Posen, mit großem Ernst nur der Musik hingegeben und steht jenseits aller technischen Probleme. Das zeigte sich im rhythmisch zerhackten und mit Doppelgriffen gespickten zweiten Satz mit seinem rasenden Finale ebenso wie in der souverän gespielten Kadenz. Der Violinpart ist symphonisch eingebettet in das groß besetzte Orchester, das durch Präzision und mannigfaltige Klangfarben bestach. Jurowski dirigierte elegant und diszipliniert, dann wieder mit weit ausholenden Gesten und lotete die Partitur bis in ihre Tiefen aus. Beeindruckter Applaus, als Zugabe spielte Fischer, die ihre Haare mit einem blau-gelben Band gebunden hatte, die 13. Caprice von Paganini, als wäre es ein Kinderlied.
Eine Rarität ist die von Prokofjew selbst verfertigte Orchesterbearbeitung des Andantes aus seiner Klaviersonate Nr. 4, die durch ihre farbige Instrumentierung bestach. Als Beispiel sei nur eine Stelle genannt, an der die eher scheppernde Bassposaune und die weiche B-Tuba gleichzeitig spielten.
Melancholischer Walzer
Rachmaninoffs letztes Werk, seine „Symphonischen Tänze“, sind ein sehr anspruchsvolles, aber trotzdem mit Genuss zu hörendes Werk mit riesigem, um Klavier, Harfe, Saxophon und erweitertes Schlagwerk ergänztem Orchesterapparat. Besonders fesselnd der zweite Satz, ein melancholischer Walzer in Moll, und das „Dies irae“. Unter den exzellenten Instrumentalsolisten seien hier nur der fantastische Altsaxophonist und der leidenschaftlich aufspielende Englischhornspieler genannt. Jubel im Publikum. Als Zugabe kündete Jurowski die „Abschiedsserenade“ für Streicher des zeitgenössischen ukrainischen Komponisten Valentin Silvestrov an, ein bewegendes Musikstück. Es war ein großartiger und denkwürdiger Konzertabend, mit und jenseits aller Politik. Ulrike Längle