Christa Dietrich

Kommentar

Christa Dietrich

Bechtold, Flatz und die documenta

Kultur / 15.06.2022 • 18:44 Uhr

Am Tag, an dem die documenta für Fachpublikum und Journalisten zugänglich ist, werden Erinnerungen wach. Die dem Zeitgenössischen gewidmete Weltkunstschau in Kassel, die allein schon deshalb so viel Interesse auf sich zieht, weil sie nach einem Vierjahresrhythmus nach dem Start im Jahr 1955 nun schon länger nur alle fünf Jahre stattfindet, erreichte zuletzt, das heißt 2017 – mit einem zweiten Austragungsort in Athen –, über eine Million Besucher. Im Jahr 2012 waren es immerhin schon über 900.000. Und das in den traditionellen hundert Tagen von Juni bis September. Im Jahr 1992 waren es noch rund 600.000, was aber einen gewaltigen Sprung nach vorne bedeutete.

Warum wird 1992 erwähnt? Damals schaffte es der aus Dornbirn stammende Künstler Flatz in die Auswahl, was im Allgemeinen bedeutet, dass man in der Kunstwelt wahrgenommen wird, quasi ein Prädikat erreichte. Das kann man freilich hinterfragen, aber Jan Hoet, der damalige Leiter, wird schon gewusst haben, warum er den Vorarlberger einlädt. Hoet war übrigens auch zugegen, als das Flatz Museum in Dornbirn eröffnet wurde. Dort ist ein Teil der Installation „Bodycheck“ zu sehen, diese Säcke, durch die sich die Besucher in der zentralen Ausstellung in Kassel durchboxen mussten. Und ihn gut in Erinnerung behielten. Bei seiner Performance zum Ende der Ausstellung konnte der Raum das Publikum kaum fassen.

Flatz hatte sich damals ein gutes Marketing organisiert. Dass Gottfried Bechtold vom Kurator Harald Szeemann zur später oft als legendär bezeichneten documenta 5 im Jahr 1972 nach Kassel geladen wurde, davon hatte in Vorarlberg kaum jemand Notiz genommen. Zeitgenössische Arbeiten, vor allem Konzeptkunst, waren damals im Land, in dem man Kunst bestenfalls als etwas wahrnahm, das man sich bei Vorhandensein eines überschüssigen Haushaltsbudgets an die Wand hängte oder repräsentativ in die Diele stellte, vielen suspekt. Akzeptiert wurden Bilder und Skulpturen.

Wer etwas performt oder in Kassel die Präsenz – auch die mediale – thematisiert, der blieb in Vorarlberg noch außerhalb des Gesichtsfelds. Gottfried Bechtold, damals erst 25 Jahre alt, dokumentierte die Reise, die er in einem Porsche unternahm, von dem bereits eine Skulptur in Beton existierte, und ließ seine Anwesenheit an verschiedenen Orten der hessischen Stadt per Lautsprecher bekannt geben.

Inwieweit das diesjährige Kuratorenkollektiv Ruangrupa, das dezidiert Hoffnung vermitteln will, aufhorchen lassen kann, erfährt das allgemeine Publikum ab Samstag.

„Konzeptkunst, war damals im Land, in dem man Kunst bestenfalls als etwas wahrnahm, das man sich bei Vorhandensein eines überschüssigen Haushaltsbudgets an die Wand hängte oder repräsentativ in Diele stellte, vielen suspekt.“

Christa Dietrich

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