Der Weg allen Fleisches im Seebad
Heinz Strunk zeigt wieder seine Charakterisierungskunst.
Roman Aus seinen neuen An- und Aussichten hat der Hamburger Kultautor („Fleisch ist mein Gemüse“) ein Buch geschaffen: „Ein Sommer in Niendorf“. Fans der Prosa des mit dem Wilhelm Raabe-Literaturpreis ausgezeichneten Allround-Künstlers dürften zufrieden sein. Den menschlichen und sozialen Totalabstieg eines Karrieremanns im mittleren Alter beschreibt Strunk, der sonst auch als Mitglied der musikalischen Komiker-Vereinigung „Studio Braun“ Furore macht, auf rund 230 Seiten in gewohnt laxer Alltagssprache mit minuziöser Neigung zum fiesen Detail.
Am Ende löst sich dieser Roth, der mit seinem Luxuskoffer „Rimowa Cabin Twist“ an die Lübecker Bucht reist, um zwischen zwei Jobs eine Chronik seiner Nazi-Unternehmerfamilie zu verfassen, auf dem Brodtener Steilufer in den Farben des Winters nahezu auf. Das tut er allerdings an der Seite einer adipösen Vertreterin des Prekariats, die ihm eine zuvor nie gekannte sexuelle Lust zu bereiten versteht.
Roth zieht auch den Schlussstrich unter seine Ehe, verstößt seine dumm-dreiste Tochter und verkauft sein Haus in der Stadt. Man könnte die Geschichte also als Anti-Bildungsroman bezeichnen, da sie keineswegs klassisch von der Reifung eines Menschen zu einer Persönlichkeit handelt. Sondern scheinbar vom genauen Gegenteil. Und doch ließe das Buch sich auch so lesen: als konsequenten Bildungsgang eines durchschnittlichen 51-Jährigen, der alle bürgerlichen Hüllen fallen lässt und quasi heldenhaft endlich zu sich selbst findet. Zu seiner inneren Leere, seiner seelischen Apathie und seiner Dummheit.
“Ein Sommer in Niendorf”, Heinz Strunk, Rowohlt, 240 Seiten.