„Da hinauf“ ist eine Hommage an die Natur

Kultur / 29.07.2022 • 16:55 Uhr
Da HinaufMarianne KünzleVerlag Nagel & Kimche,112 Seiten

Da Hinauf

Marianne Künzle

Verlag Nagel & Kimche,
112 Seiten

Marianne Künzle verbindet in ihrer Erzählung Frauenschicksale.

Roman Zwei Frauen gehen die gleiche Bergtour hinauf zum Gletscher. „Setzten Fuß vor Fuß von Stein zu Stein.“ Irma, geboren 1910, zieht irgendwann in den 50er Jahren los. Annina in der Gegenwart. Inzwischen hat der Klimawandel die Natur stark verändert. Irma empfindet Ehrfurcht vor dem mächtigen Eis. „Eis ist hier Raum, dachte sie. Eis ist hier Zeit. Die Berge ringsum weichen, damit sich das Eis ausdehnen und ausharren und ruhen kann bis zur Schmelze, zur Transformation, wenn es zu Wasser wird und das Hochtal verlässt.“

Viel Wasser ist den Berg hinuntergeflossen, bis Annina, eine junge Journalistin, zum Gletscher hochsteigt. Der weiße Koloss tropft und bröckelt. „Gletscher auf dem Rückzug hinterlassen Ödnis“, stellt sie fest und fühlt sich beelendet. Das Schmelzen ist aber auch der Grund, dass sich die Wege der beiden Frauen dramatisch kreuzen. Annina trifft auf die Leiche, die das schwindende Eis freigegeben hat. Autorin Marianne Künzle, die nahe dem Aletschgletscher im Wallis wohnt, macht die Zerbrechlichkeit der Natur zum Thema. Nicht die beiden Frauen und ihre Geschichten stehen im Vordergrund, sondern die sich verändernde Landschaft. Besonders eindrücklich beschreibt die 49-Jährige, wie sich der Gletscher wandelt, in den Jahrzehnten geschrumpft ist, wie er Geröll und Moränen zurücklässt und allmählich verschwindet. Sie zielt nicht auf einen spektakulären Leichenfund ab, sondern platziert geschickt die Dramatik in diese sich dramatisch verändernde Umwelt. Trotzdem gelingt es Künzle im handlungsarmen Plot, die Spannung bis zur letzten Seite zu halten. Das Stilmittel der Verdichtung bis hin zu Drei-Wort-Sätzen verleiht der Sprache etwas Lyrisches und starke Wiederholungen etwas Eindringliches. Die Natur bröckelt zeitgleich mit immer wiederkehrenden Vorausdeutungen eines (möglichen) nahen Todes. „Wie das wohl ankäme, die Nachricht über ihr Ableben?“, fragt sich Annina, und: „Was, wenn der Gletscher sie in sich hineinzöge?“

Zwar sehr dezent, beleuchtet die Autorin außerdem die Rolle der Frau im gesellschaftlichen Wandel, indem sie die Lesenden an Irma und Anninas Selbstgesprächen, Wünschen, Hoffnungen und Tragödien teilhaben lässt. Sie erzählt in zwei Strängen, immer im Wechsel von Kapitel zu Kapitel. „Da hinauf“ ist eine starke Erzählung, deren Kraft in leisen Tönen lautstark nachwirkt. „Da hinauf“ ist das zweite Buch der Schweizer Autorin. CRO