Mehr politisches Statement als Oper

Kultur / 15.08.2022 • 20:10 Uhr
Piotr Beczala und Elena Stikhina als Radamès und Aida. APA
Piotr Beczala und Elena Stikhina als Radamès und Aida. APA

Shirin Neshat: Keine Regisseurin, aber eine der relevanten bildenden Künstlerinnen.

Salzburg, Bregenz Während Aida und Radamès eingemauert in ihrem baldigen Grab noch davon singen, dass der Himmel seine Pforten aufschließt, sehen wir im Hintergrund eine Szene aus der Videoarbeit „Rapture“ von Shirin Neshat. Mit dem Tschador bekleidete Frauen besteigen ein Boot und wagen sich hinaus aufs Meer. Assoziationen mit einer Flucht liegen nahe, die Szene erinnert unwillkürlich aber auch an den Schluss der „Aida“-Inszenierung von Graham Vick auf der Bregenzer Seebühne. Der Brite ließ die beiden Protagonisten der Verdi-Oper in einer kleinen Barke poetisch in den Nachthimmel schweben und hat das grausame Ende an sich unterwandert. Neshats Videoarbeit ist gut zwanzig Jahre alt und ähnlich bekannt wie ihr Werk „Passage“, von dem nun ebenfalls Ausschnitte in ihrer „Aida“-Inszenierung bei den Salzburger Festspielen zu sehen sind, der sie einen Relaunch ver­passen durfte.

Konfliktreiches Verhältnis

Auch wer das Überschreiten von Genregrenzen begrüßt, konnte bei der Erstpräsentation der Regiearbeit im Sommer 2017 nicht darüber hinwegsehen, dass sich die Foto- und Videoarbeiten der aus dem Iran stammenden und in New York sowie in Berlin lebenden Künstlerin kaum mit den Spielszenen verzahnen, obwohl ihre eingehende Beschäftigung mit einer patriarchalen Gesellschaft grundsätzlich mit der „Aida“-Handlung in Verbindung zu bringen ist. Daran ändert sich nun nicht viel, wenn weitere Filmszenen hinzukommen oder wenn sie von Statisten auf der Bühne gedoppelt werden. Fazit: Shirin Neshat hat weit mehr aus ihrem Werkrepertoire, inklusive der mit Schriftzeichen versehenen Körperteile oder der Schwarzweißporträts eingebracht, ein Erzählstrang ergibt sich daraus nicht. Das konfliktreiche Verhältnis zwischen Amneris, Aida und Radamès kommt zwar ohne den Kostümprunk des ersten Anlaufs nun etwas stärker zum Tragen, die erwähnte Unterwanderung der Handlung geht bei ihr aber sehr oder zu weit, wenn Bild und Partitur nicht in Einklang zu bringen sind oder Amonasro als Verweis auf die Grausamkeit in heutigen Terrorregimen nach der Gefangennahme erstochen wird, um später von Aida höchst lebendig das Erlauschen von Kriegsgeheimnissen zu verlangen.

Systeme der Unterdrückung sind männlich dominiert und werden durch Religionen prolongiert. Als Statement ist das überzeugend, aber es ersetzt keine Personenregie, die Neshat derart vernachlässigt, dass die Auftritte neben dem brachialen, verschiedentlich bis hin zur Projektionsfläche verwendbaren Bühnenkubus von Christian Schmidt nicht in den Spielablauf integriert sind.

Hohe Qualität

So verleihen ein Piotr Beczala, dessen Tenorglanz als Radamès bis ins feinste Piano erfahrbar ist, eine Eve-Maud Hubeaux, die als Amneris nicht nur in stimmlicher Hochform begeistert, sondern auch in der Rollengestaltung ohne platte Raserei auskommt, sowie Elena Stikhina (Aida), die mit exzellenten Spitzentönen überzeugt, der Produktion die hohe Qualität. Alain Altinoglu erweist sich am Pult der Wiener Philharmoniker als verlässlicher Sänger- und Chordirigent, er liefert grundsolide Verdi-Klänge. Dem Großteil des Premierenpublikums hat ein rascher Applausdurchgang mit den zu erwartenden Buhs und Bravos beim Auftritt des Leadingteams gereicht. CD

Aufführungen bis 30. August im Großen Festspielhaus in Salzburg, Radio-Übertragung am 17. August, 19.30 Uhr in Ö1.