Hier trifft Joseph Haydn auf Harry Potter

Kultur / 17.08.2022 • 10:00 Uhr / 6 Minuten Lesezeit
Alles beginnt mit feiernden Studenten auf einem Dachboden. <span class="copyright">VN/Paulitsch</span>
Alles beginnt mit feiernden Studenten auf einem Dachboden. VN/Paulitsch

Wie gut das funktionieren kann, zeigt sich in der Opernproduktion „Armida“ bei den Bregenzer Festspielen.

Bregenz Nachdem man im Opernstudio der Bregenzer Festspiele bislang eher die Hits im Fokus hatte, etwa Rossinis „Barbier von Sevilla“ auf die Mozart/Da Ponte-Opern folgen ließ, Tschaikowskys „Eugen Onegin“ dazwischen schob, um wiederum mit „Die Italienerin in Algier“ bei Rossini zu landen, kam die Ankündigung von Joseph Haydns 1784 uraufgeführter „Armida“ überraschend. Die Hauptpartie ist halsbrecherisch und die Handlung verlangt nach einem besonderen Konzept, basiert sie doch auf einem Epos von Torquato Tasso, das in die Kreuzritterzeit zurückführt und neben der Liebesthematik einen Moslem-Christen-Konflikt berührt, den man so nicht stehen lassen kann. Von Haydn nicht nur Konzerte und Messen im Repertoire zu haben mag für das Symphonieorchester Vorarlberg, das sich seit Jahren als verlässlicher Partner dieser Festspielunternehmungen erweist, interessant gewesen sein.

Gar so selten wie es im Pausengeflüster bei der Premiere im Bregenzer Kornmarkt zum Ausdruck gebracht wurde, steht „Armida“ nicht auf dem Programm der Opernhäuser. Bekannte Sopranistinnen haben die Titelpartie drauf und eine szenisch entschlackte Version, die Christof Loy einmal im Rahmen der Salzburger Festspiele offerierte, bleibt beispielsweise in Erinnerung. Er sezierte die psychologische Verfasstheit der Liebenden auf einer nahezu leeren Bühnenschräge, auf der sich Annette Dasch, Mojca Erdmann und Michael Schade (alle bekannt auch durch Auftritte bei der Schubertiade) bewährten.

Der wichtige Myrtenbaum in der Handlung taucht immerhin als Bild auf und  ein Porträt von Joseph Haydn ist auch erkennbar. <span class="copyright">VN/Paulitsch</span>
Der wichtige Myrtenbaum in der Handlung taucht immerhin als Bild auf und ein Porträt von Joseph Haydn ist auch erkennbar. VN/Paulitsch

Jörg Lichtenstein, lange Zeit Schauspielregisseur und in Bregenz durch „Cosi fan tutte“ und „Le nozze di Figaro“ bekannt, stülpt dem Werk zum besseren Verständnis der gleich nach der Ouvertüre in Gang gekommenen Anziehungen und Abhängigkeiten eine Rahmenhandlung drüber. Die Zustimmung Haydns setzt er voraus. Auf dem Dachboden, auf dem die ersten zwei Akte spielen, hängt auch ein Porträt des Komponisten. Ausstatter Nikolaus Webern – übrigens auch ein hervorragender Beleuchter – hat diesen Raum zur Interpretationshilfe mit weiteren Bildern und Objekten versehen. So verweist das Filmplakat von „The Riot Club“ von Lone Scherfig auf die Lebensumstände der Protagonisten, die in der Vorstellung eines kleinen Mädchens Gestalt annehmen und schließlich mit den Zauberkräften von Armida, die sich gegen die rüpelhafte Gewalt der Kommilitonen wehrt, ins Fantasy-Genre wechseln. Das wurde von Mirjam Klebel witzig choreografiert und das funktioniert bis hin zu den Auftritten des Bühnenorchesters in einem Schrank, der auch weitere Begegnungen birgt. „Harry Potter“ trifft „Game of Thrones“, und nachdem Joseph Haydn in der wilden Kämpferei immer der Dritte im Bunde bleibt und der Musik stets ausreichend Raum gegeben wird, rundet sich die Produktion. Die Absichten der Kreuzritter in irgendeiner Form zu aktualisieren, wäre gewiss keine Alternative, historisierende märchenhafte Verkleidung ohne eindeutige Zuordnung sowie eine sehr genaue Personenregie bei der Begegnung der Paare Armida/Rinaldo sowie Zelmira/Clotardo und den jeweiligen Kontrahenten führt zu einem sehr guten Ergebnis.

Der Wechsel ins Fantasy-Genre ist gut nachvollziehbar. <span class="copyright">VN/Paulitsch</span>
Der Wechsel ins Fantasy-Genre ist gut nachvollziehbar. VN/Paulitsch

Ein befriedigendes Ende enthält das Werk ohnehin nicht. Nachdem Rinaldo eine Frau aus dem feindlichen Lager liebt, von den Kollegen immer wieder zurückgepfiffen wird, um sich dann wieder von der Geliebten ermahnen zu lassen, steht er entscheidungsunfähig vor dem Publikum. Hört auf zu streiten, möchte man allen zurufen. Aber nachdem weder ein kleines Mädchen (Amelie Brunn), das hier das Schlägern des Myrtenbaumes tapfer abwehrt, noch beruhigende Opiate (zu Beginn wird als Pendant dazu viel gesoffen) nicht viel bewirken, bleibt es beim offenen Schluss.

Dritter Akt mit betörenden Nymphen. <span class="copyright">BF/Karl Forster</span>
Dritter Akt mit betörenden Nymphen. BF/Karl Forster

Man kann die Geschichte weiterspinnen, den schlanken Orchesterklang nachwirken lassen, den Jonathan Brandani mit dem SOV erzeugt. Die prägnanten raschen Stimmungswechsel lassen trotz der nur wenigen Striche nie den Eindruck aufkommen, dass eine der bekannt ausufernden Haydn-Opern zu lang wäre. Ob es Brandani zu arg zupackend angeht, ist Geschmackssache. Für die Sängerinnen und Sänger schafft der Maestro jedenfalls Platz. Nicole Wacker (Armida) überzeugt mit ungemein sicherer, kraftvoller Höhe. Noch mehr Geschmeidigkeit ihres Soprans wird sich bald einstellen, das macht das Timbre in den wenigen Pianostellen hörbar. Kathrin Hottiger (Zelmira) begeistert mit zartem Glanz, Dafydd Jones begegnet ihr als Clotarco mit einwandfrei schönem Tenor, die frisch und gut geführte Stimme von Hyunduk Kim (Ubaldo) tut dem Gesamtklang ebenso gut wie die Eleganz sowie das Temperament von Gabriel Rollinson als Idreno. Das Gefühlsspektrum, das Kieran Carrel als Rinaldo zum Ausdruck zu bringen hat, muss größer sein als jenes von Armida und ist es auch, seine Dynamik wie die feinen lyrischen Passagen bleiben noch lange im Ohr.

Alle Sängerinnen und Sänger wurden vom Publikum gefeiert. <span class="copyright">VN/Paulitsch</span>
Alle Sängerinnen und Sänger wurden vom Publikum gefeiert. VN/Paulitsch

Weitere Aufführungen von „Armida“ bei den Bregenzer Festspielen am 17. und 19. August, 19.30 Uhr, im Theater am Kornmarkt.

Kathrin Hottiger (Zelmira) mit Nicole Wacker (Armida). <span class="copyright">VN/Paulitsch</span>
Kathrin Hottiger (Zelmira) mit Nicole Wacker (Armida). VN/Paulitsch