Gerald Matt

Kommentar

Gerald Matt

Militanter Humanismus 

Kultur / 23.08.2022 • 11:29 Uhr

Es ist nun mehr als 30 Jahre her, dass nach Veröffentlichung der „Satanischen Verse“ Ajatollah Khomeini vom Sterbebett aus 1989 eine Fatwa gegen Salman Rushdie verhängte: Der Autor müsse getötet werden. Drei Millionen Dollar wurden auf seinen Kopf ausgesetzt. Nun hat ein Mann in New York auf den Romancier eingestochen. Wir erinnern uns. Dem Erscheinen des Buches, ein Schelmenroman über muslimische Einwanderer in Großbritannien, folgten hasserfüllte Demonstrationen und Bücherverbrennungen durch Muslime in England und Pakistan. Es kam sogar zu Attentaten, Rushdies japanischer Übersetzer wurde erstochen, sein italienischer Übersetzer schwer verletzt, sein norwegischer Verleger angeschossen. Die Attacke auf seinen türkischen Übersetzer 1993 kostete 37 Menschen das Leben. Ein fanatischer Mob setzte ein Hotel in Brand. Labourchef Kinnock traf Rushdie nur heimlich, die britische Labour Party wollte die Muslime nicht verärgern.

Rushdie kritisierte schon damals das feige Relativieren von Menschenrechten und bequeme Verständnis für kulturelle Unterschiede und Radikalismus scharf als „die inakzeptable Variante des Multikulturalismus, nämlich ihren Abstieg in eine Ideologie des kulturellen Relativismus. Der kulturelle Relativismus ist der Tod des ethischen Denkens; er unterstützt das Recht, Tyrannei auszuüben“. Rushdie zweifelte auch daran, dass ein Roman wie „Die satanischen Verse“ heute überhaupt veröffentlicht werden könnte. Der kulturelle Relativismus habe sich durchgesetzt, zu groß sei freiwillige Zensur und Konformitätsdruck durch falsch verstandene political correctness. So sind Attentate wie jenes auf Salman Rushdie, die Redaktion des Charlie Hebdo oder auf den von einem Islamisten getöteten französischen Lehrer auch vor dem Hintergrund einer Gesellschaft zu sehen, die verständnistriefend die Kritik an Gewalttaten im Namen des Islam, an der Unterdrückung von Frauen, Homosexuellen, ethnischen Minderheiten und anderen Religionen in islamischen Kulturen (oder etwa die von Alice Schwarzer geführte Debatte über den Schleier und Frauenrechte) als „Islamophobie“ verurteilt.

So sind Attentate wie jenes auf Salman Rushdie auch vor dem Hintergrund einer Gesellschaft zu sehen, die verständnistriefend die Kritik an Gewalttaten im Namen des Islam, an der Unterdrückung von Frauen, Homosexuellen und ethnischen Minderheiten als „Islamophobie“ verurteilt.

Wer jedoch dem freiwilligen Verzicht auf „Provokationen“ durch Kabarett, Karikatur, durch Kunst und Kultur das Wort redet und Verständnis für den Zorn von Religiösen einmahnt, legitimiert eine Kultur der Angst und Selbstzensur, die Freiheit und Selbstverständnis unserer Gesellschaft bedroht. Thomas Manns 1936 geschrieben Kampfansage gegen den Nationalsozialismus könnte auch für einen entschlossenen Kampf gegen den Islamismus, den politischen Islam und dessen Sympathisanten und Mörder stehen: „Was heute nottäte, wäre ein militanter Humanismus, von der Einsicht erfüllt, dass das Prinzip der Freiheit, der Duldsamkeit und des Zweifels sich nicht von einem Fanatismus, der ohne Scham und ohne Zweifel ist, ausbeuten und überrennen lassen darf; von der Einsicht, der Pflicht, sich zu wehren … Europa wird nur sein, wenn es nach der Erkenntnis handelt, dass die Freiheit nicht zum Freibrief ihrer Todfeinde und ihrer Mörder werden darf.“