Sprechen wir über Sex

„Cosi fan tutte“ punktet in München mit guter Besetzung.
München, Bregenz Wir wissen es längst, statt „Die Schule der Liebenden“ („La scuola degli amanti“) müsste der zweite Titel der 1790 uraufgeführten Oper „Cosi fan tutte“ von Mozart „Die Schule der Begierden“ lauten. Librettist Lorenzo Da Ponte erkannte in Marivaux den Vorboten der Aufklärung, der im 1744 erschienenen Stück „Der Streit“ ein grausames Experiment der Anziehung mit Heranwachsenden vorführt, das zwei Vertreter des Ancien Régime beobachten.
Treue auf dem Prüfstand
In „Cosi fan tutte“, entstanden in einer Zeit, in der man die Vertreter des Absolutismus bald zu guillotinieren begann, sind der philosophisch belesene Lebemann Don Alfonso und das sexuell erfahrene Dienstmädchen Despina die Drahtzieher des Geschehens. Guilelmo und Ferrando werden dazu aufgestachelt, die Treue ihrer Geliebten Fiordiligi und Dorabella zu überprüfen. Dass das nicht gut ausgeht, hat zu einem von Mozarts Meisterwerken geführt, das den Dirigenten und Dirigentinnen zweifelsfrei ein Sezieren der Partitur abverlangt. Joana Mallwitz hat sich damit vor zwei Jahren in der Reihe der gegenwärtigen Pultstars positioniert, in Vladimir Jurowski durfte das Publikum an der Münchner Staatsoper nun den ausgewiesenen Mozartfachmann erkennen. Ob es dazu unbedingt eine nahezu ungekürzte Fassung braucht, bleibt unentschieden, jedenfalls bringt der Maestro das Staatsorchester auf derart kammermusikalisches Format, dass die über drei Stunden dauernde Spielzeit ein spannungsreicher Genuss sind.
Das mag etwas heißen bei der Regie von Benedict Andrews, der über das Schauspiel und das Filmgenre („Una“) ins Opernfach kam und die Handlung psychologisch weit weniger aufblättert, als es etwa Alvis Hermanis oder Christof Loy sowie auch Jörg Lichtenstein (2015 in Bregenz) gelungen ist. Andrews hadert mit der Tatsache, dass seinen selbstverständlich in der Gegenwart spielenden Figuren als aufgeklärte Menschen die Illusion romantischer Liebe längst bewusst sein muss. (Um nichts zu verwechseln: Dass die Verkleidung der Männer funktioniert, ist eine andere Sache, wir sind ja im Theater.) Mit Dildos, SM-Masken, Toilettenschmierereien und einem Alfonso in der Position des Voyeurs machen die Ausstatterinnen Magda Willi und Victoria Behr deutlich, dass wir hier von Sex sprechen, an dem die Männer sowieso ausschließlich interessiert sind und an dem die Frauen immerhin Gefallen finden.
Mit witzigem Körpereinsatz beim Streben nach Triebbefriedigung kann allerdings nicht überspielt werden, dass sich zwischen dem bildlich mit Rosen umrahmten Sehnen nach Nähe sowie der kindlichen Vorstellung vom Einzug in ein Märchenschloss und den durch eine versiffte Matratze symbolisierten nüchternen Tatsachen sowie der Gewaltbereitschaft der Männer eine Kluft auftut, zu der Andrews nichts weiter einfällt. Wenigstens muss Despina ihre buffonesken Einsätze, die Sandrine Piau mit stimmlicher Brillanz meistert, als platte Show erkennen.
Großartige Fiordiligi
Mozart rettet freilich alles und dafür steht auch Louise Alder, die es als Fiordiligi schafft, das enorme Gefühlsspektrum des Werks mit ihrem „Come scoglio“ mit wunderschönem Timbre kraftvoll zu verdichten. Avery Amereau bewährt sich als ausdrucksstarke Dorabella. Konstantin Krimmel (oft Gast bei der Schubertiade) punktet als Guilelmo mit seinem frischen Bariton und Sebastian Kohlhepp (Ferrando) lässt mit wendigem Tenor von der gemeldeten Erkrankung nichts merken. Mit Christian Gerhaher (den die Vorarlberger Musikfreunde ebenfalls gut kennen), der die Partie des Alfonso bis hin zum Sprechduktus ausreizt, gewinnt die Saisonpremiere weiters an Format.
Nächste Aufführung am 30. Oktober, 16 Uhr, und weitere: staatsoper.de