Was ein Kultbuch ist und was es kann

Wenn Essen mehr ist als Hunger, kommt Kultur ins Spiel.
von Peter Natter
Wien Kultbuch Ölsardinen? Das ist doch ein Armeleuteessen oder bestenfalls Notration für den Blackout und andere Krisenzeiten. Von wegen! Ölsardinen sind ein Kulturgut, mindestens so sehr wie biodynamischer Wein, affinierter Käse, gereiftes Rindfleisch oder meinetwegen edle Nüsse, die ganzen Landstrichen zu Ansehen und Einkommen verhelfen. Also gut, Ölsardinen als Aufputz von Pellkartoffeln habe ich sie schon als Kind gekannt, aber da ist noch mehr, viel mehr.

Wenn es zudem noch eines Beweises für die kulturelle (!) Überlegenheit gedruckter Bücher bedurft hätte (hat es nicht), dann ist er soeben eingetroffen. Das große Nuri Sardinen Kochbuch ist weit mehr als ein Kochbuch. Was heißt schon Kochbuch! Jedes sogenannte Kochbuch, angefangen beim berühmten „Mein erstes Kochbuch“, ist ein Kulturbuch schlechthin. Das Nuri Sardinen Kochbuch ist zudem ein Kultbuch und ein Kult-Buch.
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Das Buch selbst ist Kult und es handelt von einem Kult. Was ist ein Kult? Ein Kult ist etwas Heiliges, eine Zeremonie, ein Ritus, eine Basis, ein Fundament, ein Fest auf denen Alltag und Alltäglichkeit fußen. Kult ist, um bei Büchern zu bleiben, die Bibel, auch der Koran ist ein Kultbuch und ein Kult-Buch. Sie sind jene Texte, jene Textur, auf die im Zweifels-, Not- und Streitfall zurückgegriffen wird, „das Wörterbuch des armen Mannes“ hat man sie genannt.

Nuri Sardinen sind Kult, so wie Campbell´s Tomato Soup oder das rote und das blaue Beatles-Album. Die Nuri Sardinen werden im Atlantik vor der portugiesischen Stadt Porto gefangen, bevor sie in der vom Wiener Unternehmer Jakob Glatz kurz vor ihrer Schließung gekauften 100-jährigen Fabrik landen. Dort werden sie noch am selben Tag, verfeinert mit den typischen Gewürzen wie Lorbeer, Nelke und Chili in reiner Hand- und Kulturarbeit in den schicken, gelben Dosen verpackt. Qualität kommt von Kultur.

Das Nuri Kochbuch ist ein Buch voller Geschichten von Menschen, ihrer Arbeit und dem, was daraus wird; zum Beispiel Gerichte, die mit den silbrigen Fischen zubereitet werden, mehr oder weniger sophisticated, verfeinert, getunt: Tapas, Salate, Suppen, Quiche und würzige Pastagerichte machen Lust auf viel mehr, nämlich auf Kultur. Was ein wesentliches Merkmal für Kultur ist: Die Rezepte funktionieren!

Entwickelt werden die vielfältigen Nuri Rezepte von Profikoch Andres Stirn, mit spannenden Einblicken in die portugiesische Manufaktur, wo im Prinzip gearbeitet wird wie eh und je, wenn auch eine Spur hygienischer, ökonomischer, aber, wenn man den Erzählungen des schön aufgemachten, in buntes, hinreißendes Sardinenbüchsenpapier gehüllten Buches glauben will, und man will das gern, dann geht es im Wesentlichen um die beteiligten Menschen: um Produzenten, die mehr sind als Macher, und vor allem um Konsumenten, die mehr sind als Verzehrer, nämlich kultivierte Esserinnen. Wer gleich rundum versorgt werden will, für den oder die gibt es eine exklusive Playlist zum Buch. Swingen tut es so oder so.
