Wenn Dido auf die namenlose Frau trifft

Henry Purcells „Dido und Aeneas“ und Arnold Schönbergs „Erwartung“ an einem Abend.
MÜNCHEN Ein außergewöhnlicher Abend an der Bayerischen Staatsoper verband am Sonntag Henry Purcells „Dido und Aeneas“ mit Arnold Schönbergs „Erwartung“. Musikalisch könnten die Werke kaum weiter auseinander liegen, 250 Jahre liegen zwischen den Kompositionen. Dennoch werden bei dieser Produktion die Hauptrollen von der litauische Sopranistin Ausrine Stundyte gesungen. Das Einigende der Stücke besteht in dem Umstand, dass beide Frauenrollen von ihren Geliebten – scheinbar – verlassen werden und beide trauern: Dido mit viel barocken Lamenti, während Schönbergs namenlose Frau expressionistisch das Verschwinden ihres Geliebten besingt.
„Dido und Aeneas“ war das erste Bühnenwerk des damals 30-jährigen Henry Purcell, der in seinem Werk Einflüsse der italienischen, französischen und englischen Bühnentradition zu einer ganz eigenen Form verschmolz und die antike Erzählung auf nur eine Stunde verdichtete. Das Libretto verfasste Nahum Tate, basierend auf dem vierten Buch von Vergils „Aeneis“. Die Musik ist dramatisch, die Affekte und Emotionen der Figuren und Situationen der knappen Handlung stehen im Vordergrund, die Gesangsvirtuosität rückt in den Hintergrund.
Sehenswerte Inszenierung
Die Handlung Arnold Schönbergs unheimlichen Monodram „Erwartung“ ist rasch erzählt. Eine Frau irrt durch einen finsteren Wald, um schließlich über die blutige Leiche ihres Geliebten zu stolpern. Den hat sie zwar aus Eifersucht selbst ermordet, diesen Umstand jedoch vor lauter Schock verdrängt. Das Libretto zu dem knapp halbstündigen Werk verfasste Marie Pappenheim, die während ihres Medizinstudiums unter dem Pseudonym Maria Heim Gedichte schrieb und im August 1909 von Schönberg aufgefordert wurde, ein Libretto zu verfassen: „Schreiben Sie mir doch einen Operntext, Fräulein!“. Ab 1908 löste sich Schönberg von der Tonalität und schrieb eine „Musik der unbegrenzten Möglichkeiten“. In dieser Zeit entstand „Erwartung“, eines der maßgeblichsten Musikstücke des 20. Jahrhunderts.
Regisseur dieses erstaunlichen Opernabends ist Krzysztof Warlikowski, der zuvor bereits sechs Mal an der Bayerischen Staatsoper gearbeitet hat. Wie schon öfters bedient er sich auch in dieser Inszenierung beim Film. „Dido und Aeneas“ ist angelegt als Horror-B-Movie, schräg in einem Wald steht ein Bungalow. Aeneas, lange Hippie-Haare und Schlaghose, repariert sein Auto, während um ihn herum Zombies auf der Bühne herumtorkeln. Purcells ursprüngliche Hexen, welche Dido und Aeneas schlussendlich ins Unglück stoßen, sind in schrillen, aufwendigen Kostümen gesteckte Untote, mit der bösen Zauberin an ihrer Spitze. Diese wird sensationell von dem US-amerikanischen Countertenor Key’mon Murrah gesungen. Dido ist diesen „Walking Deads“ nicht gewachsen und begeht mit einem Messer Selbstmord, jedoch nicht bevor sie in einer zauberhaften Arie ihr Leid erklärt.
Bevor es zum zweiten Teil des Abends geht, steht ein spektakuläres Interlude des polnischen Komponisten Paweł Mykietyn auf dem Programm. Während eine Videoinstallation durch eine Art Zeittunnel rast, gibt die Zombie-Truppe von eben eine grandiose Tanz-Performance zum Besten. Um eine Verknüpfung zu Schönbergs Werk herzustellen, greift Warlikowski dann allerdings etwas zu tief in die Trickkiste, lässt Dido wieder von den Toten auferstehen und in einem Eifersuchtsanfall Aeneas und Belinda erschießen.
Womit wir bei Schönbergs „Erwartung“ angekommen sind. Das Setting erinnert an die Netflix-Erfolgsserie „Dark“ und entwickelt einen ähnlichen mastischen Sog. Ausrine Stundytes spielt die namenlose Frau angelehnt an die Hauptdarstellerinnen der expressionistischen Stummfilme der 1920er-Jahre: abwechselnd mit angstvoll aufgerissenen, mal verträumt geschlossenen Augen, immer mit großer Gestik und Mimik.
Womit wir beim Highlight dieses Abends angekommen sind. Nicht viele Sängerinnen schaffen dieses unfassbar schwere Stück zu bewältigen und schon gar nicht in dieser meisterhaften Qualität. Ausrine Stundytes, die auch die barocke Partie der Dido eindrucksvoll zum Besten gab, erntete für ihre Leistung zu recht ganz viele „Bravos“. Ebenfalls bejubelt wurden der hervorragende Chor, das wundervolle Orchester sowie der britische Dirigent Andrew Manze. VN-AMA