Lichtblick im Vorarlberger Kulturangebot

Kultur / 17.02.2023 • 16:30 Uhr / 6 Minuten Lesezeit
"Solstices" von Georg Friedrich Haas wurde vom Ensemble Plus in einer Version des Walktanztheaters nun in Dornbirn uraufgeführt. <span class="copyright">Walktanztheater/Sarah Mistura</span>
"Solstices" von Georg Friedrich Haas wurde vom Ensemble Plus in einer Version des Walktanztheaters nun in Dornbirn uraufgeführt. Walktanztheater/Sarah Mistura

Mit „Solstices“ bieten Georg Friedrich Haas und Brigitte Walk ein herausragendes Ereignis.

Dornbirn Da weist also ein Komponist die Interpreten an, dass ein Werk von ihm in völliger Dunkelheit aufzuführen ist und dann schlägt er etwas vor, was diese Intention ausschließt. Wir sprechen von Georg Friedrich Haas, der mit langer Werkliste, zahlreichen Auszeichnungen und als Professor der Columbia University in New York an der Spitze der internationalen Musikszene steht und seinem 2019 vom Riot Ensemble in Reykjavik uraufgeführten Werk „Solstices“, das die hohe Qualität seines Schaffens repräsentiert. Am Donnerstagabend erlebte das Vorarlberger Publikum nun im Dornbirner Kulturhaus eine Darbietung, die zu den herausragenden Ereignissen im regionalen Kulturgeschehen zählt und sicher nicht so schnell getoppt werden kann.

Nach etwa sechs Minuten in völliger Dunkelheit erlebt das Publikum die zusätzliche Umsetzung des Werks in eine Tanzsprache. <span class="copyright">Walktanztheater/Sarah Mistura</span>
Nach etwa sechs Minuten in völliger Dunkelheit erlebt das Publikum die zusätzliche Umsetzung des Werks in eine Tanzsprache. Walktanztheater/Sarah Mistura

Haas, in Vorarlberg aufgewachsen und trotz internationaler Tätigkeit seit Jahren im regen Gedankenaustausch mit der Vorarlberger Theatermacherin Brigitte Walk, überließ ihr seine Komposition mit der Bereitschaft, seine Klangsprache mit einer Tanzsprache verbinden zu lassen. Bezüglich des Ausmaßes der dazwischenliegenden Kluft setzte er somit großes Vertrauen in Walk als Regisseurin und in ihre Choreografin Elisabeth Orlowsky.

Schlagwerker Bertram Brugger mit Tänzerin Silvia Salzmann und Tänzern. <span class="copyright">Walktanztheater/Sarah Mistura</span>
Schlagwerker Bertram Brugger mit Tänzerin Silvia Salzmann und Tänzern. Walktanztheater/Sarah Mistura

Haas war bei der Uraufführung nicht anwesend, aber so wie er in einem Gespräch mit den VN bekundete, dass er keine Vorstellung davon haben will, wie die Tänzerinnen und Tänzer die Klänge spiegeln und in diesem Fall sowieso vieles der freien Entscheidung der Interpreten überlasst, wäre die Erkundung seinem Eindruck nach einer etwaigen Begegnung mit der Produktion ohnehin überflüssig.

Nur wenige Minuten in Dunkelheit

Silvia Salzmann in"Solstices" von Georg Friedrich Haas. <span class="copyright">Walktanztheater/Sarah Mistura</span>
Silvia Salzmann in"Solstices" von Georg Friedrich Haas. Walktanztheater/Sarah Mistura

Da hegen die beteiligten Künstlerinnen und Künstler, zu denen vor allem auch das Ensemble Plus mit seinem Leiter Guy Speyers zählt, also große Wertschätzung füreinander. Neben der notwendigen Empathie zeigt sich hier auch ein längst notwendiger Mut. Nachdem sich das Symphonieorchester Vorarlberg seit Jahrzehnten weigert, dem zeitgenössischen Musikschaffen entsprechenden Raum zu gewähren, ist der Fortbestand des Ensemble Plus ein derartiger Lichtblick, dass es nicht störte, den Part in der völligen Dunkelheit bei der Aufführung des etwa 70-minütigen Stücks „Solstices“ auf etwa sechs Minuten zu beschränken.

Chris Wang in "Solstices" von Georg Friedrich Haas. <span class="copyright">Walktanztheater/Sarah Mistura</span>
Chris Wang in "Solstices" von Georg Friedrich Haas. Walktanztheater/Sarah Mistura

Ich hätte gerne die ursprünglich angekündigten 20 Minuten gehabt, denn die Erfahrung, die jeder gemacht hat, der einer Aufführung der in Dunkelheit zu spielenden Stücke von Haas erlebte, ist unvergleichlich. Liegende Töne, Halbtöne, die einander ausweichen oder mikrotonale Schritte sind durch das fokussierte Hören intensiv wahrnehmbar. 

Szene aus der Aufführung von "Solstices" im Dornbirner Kulturhaus. <span class="copyright">Walktanztheater/Sarah Mistura</span>
Szene aus der Aufführung von "Solstices" im Dornbirner Kulturhaus. Walktanztheater/Sarah Mistura

Die Herausforderung für die Musiker ist aber freilich enorm und so wie Brigitte Walk das Licht nach einem kurzen Tanz-Intro ausgehen und schließlich in kleinen Kegeln wieder aufgehen lässt, erzeugt sie eine Stimmung, die der Konzentration förderlich ist.

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Eigene Tanzsprache

„Solstices“ ist laut Titel von der Zeit von der Wintersonnenwende zur Sommersonnenwende inspiriert und für eine Besetzung mit Violine, Viola, Violoncello, Klavier, Kontrabass, Querflöte, Klarinette, Posaune, Gitarre und Schlagzeug geschrieben. Das mit der Sonnenwende braucht man allerdings nicht zu wissen, durchaus gewinnbringend ist es, einfach nur dem Interpretationsverlauf der Musikerinnen und Musiker zu folgen – den Klangabstufungen, sobald die Instrumente in den einzelnen Teilen des Musikstücks umgestimmt werden, den leisen, auf dem Klavierklang liegenden Tönen und den Ausbrüchen.

<span class="copyright">Walktanztheater/Sarah Mistura</span>
Walktanztheater/Sarah Mistura

Sich an diese Bilder erst gar nicht heranzutasten, sondern eine eigene Tanzsprache zu entwickeln, die über oder neben den Klängen abläuft, ist eine hervorragende Entscheidung von Elisabeth Orlowsky. Dass sie mit Miriam Arnold, Sebastien Kapps, Joni Österlund, Marina Rützler, Silvia Salzmann und Chris Wang Tänzerinnen und Tänzer mit großer Fähigkeit zur Improvisation hat, tut dem Gesamteindruck sehr gut. Das subtile Lichtdesign von Matthias Zuggal und die Ausstattung mit luziden Stoffen und einigen Vogelmasken von Sandra Münchow unterstützen den Eindruck von einem Geflecht aus Angst und Befreiung, sie oktroyieren den Zuschauern diesen aber nicht auf.  Auch die Wiederholungen im Tanzvokabular, die in den Solo- wie Ensemblestellen wahrzunehmen sind, wirken inspirierend. Wer nach dem Verklingen des großen Applauses den Saal mit dem Wunsch verlassen hat, sich dieses Erlebnis bei einer Folgeaufführung noch einmal zu gönnen, befand sich vermutlich in guter Gesellschaft.

Weitere Aufführungen von „Solstices“ am 17., 18., 20. und 22. Februar, jeweils 19.30 Uhr, und am 19. Februar, 10 Uhr, im Dornbirner Kulturhaus.

Der Komponist Georg Friedrich Haas (geb. 1953 in Graz) ist in Vorarlberg aufgewachsen und wurde mittlerweile mit renommierten Preisen bedacht. <span class="copyright">Ricordi/Harald Hoffmann</span>
Der Komponist Georg Friedrich Haas (geb. 1953 in Graz) ist in Vorarlberg aufgewachsen und wurde mittlerweile mit renommierten Preisen bedacht. Ricordi/Harald Hoffmann
<p class="caption">Das Ensemble Plus mit den Tänzern sowie Theaterleiterin Brigitte Walk. <span class="copyright">Walktanztheater/Sarah Mistura</span></p>

Das Ensemble Plus mit den Tänzern sowie Theaterleiterin Brigitte Walk. Walktanztheater/Sarah Mistura

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