Auf den Hass folgt die Hoffnung

Sammelband zum letztjährigen Philosophicum Lech “Der Hass. Anatomie eines elementaren Gefühls”.
Wien Vergangene Woche wurde im Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien (mumok) der Sammelband zum letztjährigen Symposium “Der Hass. Anatomie eines elementaren Gefühls” des Philosophicum Lech präsentiert. Es war die 25. Veranstaltung der transdisziplinären Reihe, die sich unter dem Motto “Denken auf höchstem Niveau – 1500 Meter über dem Meer” seit “Die Faszination des Bösen” (1997) jedes Jahr einem anderen aktuellen Thema widmet. Zum Jubiläum versammelt der von Liessmann herausgegebene Band “Der Geist im Gebirge” Beiträge aus einem Vierteljahrhundert vielfältiger Standortbestimmungen.

Hass ist allgegenwärtig. „Hate Speech“ ist zu einem beunruhigenden Phänomen geworden. In der Ablehnung von Hass und Hetze sind sich alle einig. Selten aber wird gefragt, was Hass eigentlich ist, was das Aggressive, Verletzende und Verstörende, aber auch das Befriedigende, vielleicht sogar Lustvolle am Hass sein kann.

Wer hasst eigentlich wen, wer oder was kann zum Hassobjekt werden? Gibt es plausible Gründe? Wo liegen die Grenzen zwischen Kritik, Abneigung, Antipathie, Missbilligung und Hass? Wie verhält sich Hass zu Neid und Eifersucht, zu Angst und Demütigung? Und allzu oft gerät die alte Erkenntnis in Vergessenheit, dass Hass die Kehrseite der Liebe ist.

2023 wird das Philosophicum Lech dem Thema „Hoffnung“ gewidmet sein. Bei der Buchpräsentation suchten Michael Köhlmeier und Konrad Paul Liessmann nach einem geeigneten Übergang vom Hass zur Hoffnung und fanden ihn in „Antigone“. Die griechische Tragödie, die Sophokles um 441 v. Chr. schrieb, ist eines der herausragendsten Werke der antiken Literatur. Im Mittelpunkt steht die Titelfigur Antigone, die Tochter des mythischen Königs Ödipus, und ihr Streit mit ihrem Onkel Kreon, dem Herrscher von Theben, um die Bestattung ihres Bruders Polyneikes.

Polyneikes und sein Bruder Eteokles sterben im Kampf um die Herrschaft über Theben. Kreon erklärt Eteokles zum rechtmäßigen König und ordnet ein ehrenvolles Begräbnis an, während er Polyneikes als Verräter brandmarkt und unbestattet lässt. Antigone ist entschlossen, ihrem Bruder die letzte Ehre zu erweisen und widersetzt sich Kreons Befehl.

Die Geschichte der Antigone wirft eine Reihe moralischer und ethischer Fragen auf, wie das Verhältnis zwischen individueller Loyalität gegenüber der Familie und der Pflicht gegenüber dem Staat sowie das Spannungsfeld zwischen göttlichen und menschlichen Gesetzen. Antigones Entscheidung, sich dem Befehl des Herrschers zu widersetzen, zeigt ihre unerschütterliche Treue zur Familie und ihre Überzeugung, dass göttliche Gebote über menschlichen Gesetzen stehen.
Der zeitlose Charakter von Antigones Geschichte hat dazu geführt, dass sie im Laufe der Jahrhunderte immer wieder aufgegriffen und neu interpretiert wurde. Die Themen persönliche Integrität, Mut und die Macht des Gewissens machen “Antigone” zu einem unvergänglichen Werk der Weltliteratur.

Doch wo liegt die Hoffnung in einem Stück, an dessen Ende fast alle außer Kreon tot sind? Der Mitiniator des Philosophicums Lech, Konrad Paul Liessmann, findet sie in der Läuterung Kreons: „Kreon bereut. Er erkennt, dass er hätte anders handeln können. Dass es unmenschlich ist, zu konsequent an einer Rechtsidee festzuhalten. Er versteht: Man muss auch einmal eine Ausnahme machen.“

Liessmann verglich dies mit einem aktuellen Fall: der Abschiebung einer bestens integrierten indischen Familie aus Haslach. Auch wenn die Rechtslage gegen ein Bleiben spreche, müsse es Raum für menschliche Gesten geben. Der Philosoph schloss mit der Hoffnung auf die Kunst des Kompromisses und verwies auf das nächste Philosophicum, das vom 19. bis 24. September unter dem schönen Titel “Alles wird gut” stattfindet.

Buch übers Philosophicum 2022: „Der Hass. Anatomie eines elementaren Gefühls“. (Verlag Zsolna)