Neu im Kino: Ulrich Seidls Annäherung an das Undarstellbare

Ulrich Seidl hat mit “Sparta” das viel diskutierte Bruderwerk zu “Rimini” geschaffen.
Drama Ulrich Seidl legt gerne den Finger in die Wunden der Gesellschaft. So schont der Regisseur sein Publikum auch mit seinem im Vorfeld von einer heftigen Debatte um die Drehumstände umtosten Film “Sparta” nicht. Das Pendant zum Vorläufer “Rimini” ergründet dabei eines der Tabuthemen schlechthin: Pädophilie. Für das gelungene Porträt eines Mannes mit hochproblematischen Gelüsten wählt Seidl nicht den einfachen Weg. Nach aller Diskussion kommt “Sparta” nun am Freitag ins Kino.
In “Rimini” spürte Seidl dem abgehalfterten Schlagersänger Richie Bravo nach, der bei winterlicher Tristesse in einem italienischen Badeort seine Hits für ein schütteres, gealtertes Publikum zum Besten gibt. In “Sparta” wird dessen Bruder Ewald (Georg Friedrich) schonungslos auf den Zahn gefühlt. Ewald ist wie Richie nach dem Tod der Mutter nur noch sporadisch wegen des einen oder anderen Besuchs des hochbetagten, dementen Nazivaters Ekkehard (Hans-Michael Rehberg in seiner letzten Kinorolle) in Österreich anzutreffen. Er hält sich lieber bei seiner Freundin (Florentina Elena Pop) in Transsilvanien, im Zentrum Rumäniens auf.

Dort ist nicht nur die Gegend verwahrlost, auch die Beziehung der beiden hat schon bessere Zeiten erlebt. Sie versucht zwar, mit so mancher erotischen Verlockung Ewalds erstarkendes Desinteresse abzuwenden, doch gelingen mag ihr das nicht. Und dem Publikum schwant schon bald, warum. Zu lange beobachtet der zurückhaltende Mittvierziger mit dünner, krächzender Stimme junge Burschen beim Fußballspielen, bei der Schneeballschlacht oder auch beim Schaukeln.
Langsam nähert Ewald sich ihnen an. Mit gebrochenem Rumänisch und unbeholfenen Berührungen strebt er danach, die Sympathien der Buben für sich zu gewinnen. Dabei ist er sich bewusst, dass seine zusehends an die Oberfläche drängenden Gelüste hochproblematisch sind. Immer wieder hält er inne, flüchtet beinahe panisch, um sich verzweifelt an den Kopf zu greifen.
Aufgrund Ihrer Datenschutzeinstellungen wird an dieser Stelle kein Inhalt von Youtube angezeigt.
Ewald macht dennoch eine desolate ehemalige Schule aus, die er mithilfe mehrerer Burschen aus der Umgebung zur Festung “Sparta” ausbaut. Dort trainiert er sie nicht nur im Judo – gegenüber den Eltern gibt er sich als Kampfsportlehrer aus -, sondern lässt auch marschieren und gemeinsam duschen. Für die arglosen Buben bedeutet das auch Unbeschwertheit vom tristen Familienalltag, der für so manche von Schlägen und erzwungenem Alkoholkonsum geprägt ist.
Dominierte in “Rimini” das Gefühl der Fremdscham für Richie Bravo, der widerwillig die Beziehung zu seiner Tochter in halbwegs ruhige Gewässer steuert, macht es Seidl dem Publikum mit “Sparta” wesentlich schwerer. Der Regisseur malt nicht schwarz-weiß – hier die nette Familie, dort der böse Pädophile. In Seidls Kosmos lauert das Grausliche und Verwerfliche an jeder Ecke. Der Regisseur wirft die unschuldigen Burschen zwischen mehrere Übel und überlässt dem Publikum mit beinahe diabolischer Freude das Urteil, welches davon das geringere ist.
Drama über Schmerz
Geprägt ist der sich an das Undarstellbare annähernde Film in klassischer Seidl-Manier von trostlosen Gegenden und Räumlichkeiten, die mit ihren surrenden Kühlschränken und Strommasten, dem Schmatzen von Schneematsch im Winter und Gatsch im Sommer den Soundtrack vorgeben. Georg Friedrich setzt dem ausgefeilten Drama über den Schmerz, sich selbst zu finden, mit seinem bedrohlichen und doch seltsam zärtlichen Schauspiel die Krone auf.
Sparta
Regie: Ulrich Seidl
Mit: Georg Friedrich, Florentina Elena Pop, Hans-Michael Rehberg, Marius Ignat, Octavian-Nicolae Cocis
Start: ab 6. Mai im GuK-Kino in Feldkirch