Sehnsuchtsort für Bobos

Kultur / 05.05.2023 • 14:15 Uhr / 5 Minuten Lesezeit
“Das weiße Dorf” feierte am Donnerstagabend Premiere im Theater Kosmos.  <span class="copyright">Roland Paulitsch (7)</span>
“Das weiße Dorf” feierte am Donnerstagabend Premiere im Theater Kosmos. Roland Paulitsch (7)

Theater Kosmos zeigt „Das weiße Dorf“ von Teresa Dopler.

Bregenz „Ich dachte, es würde mich sehr bewegen“, dass sind die Schlussworte von Ruth (Kaija Ledergerber), als sie und ihr Ex-Liebhaber/Lebensgefährte Jan (Simon Alois Huber) zusammen auf dem Kreuzfahrtschiff, das stromabwärts auf dem Amazonas kreuzt, das Amazonas-Delta und somit den Endpunkt ihrer Reise, den Atlantik, erreichen.

Ruth und Jan bilden ein kongeniales Paar.
Ruth und Jan bilden ein kongeniales Paar.

Die Handlung dieses Zweipersonenstücks ist einfach, ohne Brüche, ohne Falltüren. Das einstige Liebespaar Ruth und Jan treffen sich zufällig auf einem Kreuzfahrtschiff auf dem Amazonas. Beide sind mittlerweile wieder in einer festen Beziehung (Jan mit Lea und Ruth mit Ben). Was zunächst den Anschein eines erfreulichen Wiedersehn hat, entpuppt sich nach und nach als Reise in ihre Sehnsüchte. Im Programmheft findet sich eine Textpassage aus Joseph Conrads „Herz der Finsternis“, jener geniale Text und nicht mehr wegzudenkender Beitrag über die beispiellose Grausamkeit, die die europäischen Kolonialisten im 19. Jahrhundert und darüber hinaus an der afrikanischen Bevölkerung verübt haben.

Das einstige Liebespaar Ruth und Jan trifft sich zufällig auf einem Kreuzfahrtschiff auf dem Amazonas.
Das einstige Liebespaar Ruth und Jan trifft sich zufällig auf einem Kreuzfahrtschiff auf dem Amazonas.

„Heart of Darkness“ ist aber vor allem eine Reise in eine Finsternis des Herzens. Davon ist der Text Doplers weit entfernt. „Das weiße Dorf“ ist keine Tour de Force menschlicher Abgründe und Grausamkeiten, es werden keine tiefe Verletzungen, keine traumatischen Erfahrungen offengelegt, kein perfides Katz-und-Maus-Spiel zwischen den einstmals und noch immer Verliebten, das will Teresa Dopler mit ihrem Stück auch nicht, vielmehr hat sich die Autorin dafür interessiert, „wie direkt Ruth und Jan miteinander sprechen, und wie kühl der Dialog dabei bleibt, fast automatenhaft. Diese Sprache verliert ja nie die Haltung – genauso wenig wie die Figuren – um sich wirklich anzunähern, müssten die beiden ins Stottern kommen, ins Stolpern.“

„Das weiße Dorf“ ist keine Tour de Force menschlicher Abgründe und Grausamkeiten.
„Das weiße Dorf“ ist keine Tour de Force menschlicher Abgründe und Grausamkeiten.

Die beiden Protagonisten bilden ein kongeniales Paar. Man ist versucht, von Bobos (bourgeoise Bohemiens) zu sprechen, die äußerst erfolgreich im Beruf sind, eine nonkonformistische Haltung einnehmen, idealistisch leben, einen sanften Materialismus pflegen und korrekt und kreativ zugleich sind, ohne die gesellschaftlichen Normen zu verlassen. Sehr gut aufeinander abgestimmt, präsentieren die beiden ihre einstige Liebe und Leidenschaft füreinander behutsam dem Publikum und peu à peu; es geht nicht ans Eingemachte.

Das Schaukeln des Schiffes wird für den Zuschauer spürbar übertragen.
Das Schaukeln des Schiffes wird für den Zuschauer spürbar übertragen.

Zum ersten Mal hellhörig wird man bei Ruths Frage an Jan, der mit seiner neuen Lebensgefährtin an Bord des Schiffes ist: „Wollt ihr ein Kind?“ Was darauf folgt, sind einfache textliche Strickmuster, die alles und nichts beinhalten. Oftmals kommen die Wörter „denken“ und „dachte“ zur Sprache, aber nicht in einer Hölderlinschen Doppeldeutigkeitsvermutung, eher redundant und stebstbestätigend, die „Figuren haben in dieser ständig sich selbst wiederholenden Selbstbestätigung auch etwas sehr Komisches … ein ganz eigener Humor, der von den vielen Wiederholungen lebt und nicht ganz planbar ist“, so Regisseur Augustin Jagg, der behutsam und unaufgeregt inszeniert hat und sich der „Stille des Textes“ sehr wohl bewusst ist.

Gibt es die vollkommene Liebe für den vollkommenen Ort?
Gibt es die vollkommene Liebe für den vollkommenen Ort?

Genial das Bühnenbild, ein „Schiffsplankenparkett“ als eine an vier Drahtseilen aufgehängte Plattform, stellt die Reling dar, auf der die Schauspieler agieren und ihre Blicke auf den Amazonas und das Ufer schweifen lassen, darauf zwei schlichte Liegestühle. Das Schaukeln des Schiffes (und auch ihre eigene Unsicherheit) wird somit für den Zuschauer spürbar übertragen. Ab und an tauchen Nebelschwaden im Hintergrund auf, suggerieren die feucht-tropische Luft des Amazonasgebiets. Ausgesucht und stimmig Herwig Hammerls Gitarrenklänge, zwischen Samba und Flamenco. Nicole Wehingers Kostüme, kakifarben, luftig-leicht, legere Sommerbekleidung und weiße Sneakers (eh klar) passen ausgezeichnet.

„Dieser Ort ist vollkommen.“
„Dieser Ort ist vollkommen.“

Und dann noch das weiße Dorf? Gemeint ist damit eines dieser weißen Dörfer in Andalusien wie zum Beispiel Arcos de la Frontera oder Ronda. Sehnsuchtsort, Heimat, Erfüllungsort. „Dieser Ort ist vollkommen“, sagt Ruth und Jan antwortet: „Im Sommer mit dir dort sein.“ Man würde es ihnen wünschen. Es wird nie dazu kommen. Gibt es die vollkommene Liebe für den vollkommenen Ort?

Thomas Schiretz

Theater Kosmos

“Das weiße Dorf” von Teresa Dopler

Weitere Aufführungstermine siehe www.theaterkosmos.at

Du hast einen Tipp für die VN Redaktion? Schicke uns jetzt Hinweise und Bilder an redaktion@vn.at.