Zu- oder ungehörig

Kultur / 10.05.2023 • 18:18 Uhr
Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux thematisierte ihre Herkunft aus dem Arbeitermilieu. AFP
Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux thematisierte ihre Herkunft aus dem Arbeitermilieu. AFP

Feldkircher Literaturtage 2023 über Klasse und Herkunft in der Literatur.

FELDKIRCh Die französische Schriftstellerin und Nobelpreisträgerin Annie Ernaux war eine der ersten Autoren, die ihre Herkunft aus dem Arbeitermilieu zum zentralen Thema ihres literarischen Schaffens machte. Ihre unverblümte Darstellung der sozialen Klassen inspirierte zahlreiche Schrifsteller, wie etwa den französischen Soziologen Didier Eribon, der mit seinem Essay „Rückkehr nach Reims“ die Klassendebatte auch im deutschsprachigen Raum anregte.

Klasse in der Literatur

Eribon war Schüler des renommierten Soziologen Pierre Bour­dieu, der mit seiner Studie „Die feinen Unterschiede“ den Begriff des Habitus prägte – das System von Einstellungen, Verhaltensweisen und Vorlieben, das ein Individuum aufgrund seiner sozialen Herkunft entwickelt. In jüngster Zeit sind im deutschsprachigen Raum mehrere Anthologien zum Thema Klasse in der Literatur erschienen, darunter Brotjobs und Literatur sowie Klasse und Kampf. Die US-amerikanische Autorin und Aktivistin bell hooks (1952-2021) beschreibt in ihrem Werk „Die Bedeutung von Klasse“ ihren persönlichen Weg aus der Unterschicht zum Wohlstand durch Bildung unter Berücksichtigung der Klassenfrage. hooks betont, dass eine kritische Bewusstseinsbildung für Privilegierte entscheidend ist, um sich von den herrschenden Machtstrukturen zu befreien.

Dinçer Güçyeter

Vom 11. bis zum 13. Mai finden in Feldkirch die „Literaturtage 2023“ zum Thema „Zu- oder ungehörig – über Klasse und Herkunft in der Literatur“ statt, bei denen Autorinnen und Autoren wie Marie-Rose Rodewald-Cerha, Sabine Scholl, Eva Schörkhuber, Barbi Marković, Karin Peschka und Dinçer Güçyeter ihre Werke vorstellen und diskutieren. Im Zentrum steht die Frage, wie Herkunft, sozioökonomische Rahmenbedingungen und Geschlecht die Lebensrealitäten und das Schreiben der beteiligten Autorinnen und Autoren prägen.

Am Donnerstag, 11. Mai, spricht Eva Schörkhuber über bell hooks’ „Die Bedeutung von Klasse“ und fragt, inwieweit hooks’ Erfahrungen als schwarze feministische Intellektuelle auf heutige Verhältnisse übertragbar sind. Am Freitag, 12. Mai, lesen Barbi Marković und Karin Peschka aus ihren Romanen „Die verschissene Zeit“ und „Dschomba“ und sprechen mit Sabine Scholl über die Prägung durch soziale Herkunft und Lebensumstände.

Der Preis der Leipziger Buchmesse 2023 in der Kategorie Belletristik geht an den Schriftsteller Dinçer Güçyeter. Er wird im Rahmen der Feldkircher Literaturtage 2023 am 13. Mai im Saumarkt aus seinem preisgekrönten Werk „Deutschlandmärchen“ lesen und mit den Autorinnen Barbi Marković, Eva Schörkhuber und Karin Peschka über das Thema „Herkunft, Anpassung und Widerstand“ diskutieren.

Klassismus

Die diesjährigen Literaturtage beschäftigen sich mit dem Thema „Klassismus“, der Zugehörigkeit zu einer „Klasse“ und den damit verbundenen Diskriminierungen. „Dabei ist die Gruppe von weniger privilegierten Menschen nicht mehr mit der althergebrachten Arbeiterklasse gleichzusetzen, sondern ist vielfältiger und komplexer strukturiert“, merkt die Expertin und Autorin Sabine Scholl an. Es wird der Frage nachgespürt, wie der „Klassismus“ in der Literatur, ob thematisch, sprachlich oder als literarisches Erbe, repräsentiert und bearbeitet wird. VN-AMA

Dinçer Güçyeter erhielt den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Belletristik. APA/DPA/HENDRIK SCHMIDT
Dinçer Güçyeter erhielt den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Belletristik. APA/DPA/HENDRIK SCHMIDT