Beseelte Interpretationen und raffiniertes Klavierspiel

Kultur / 26.06.2023 • 14:47 Uhr
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Die Brüder Jussen genießen internationalen Ruhm. Schubertiade GmbH (7)

Die Brüder Jussen und das Julia-Fischer-Quartett in Schwarzenberg.

Schwarzenberg Die Brüder Jussen sind auch modisch ein Gesamtkunstwerk: in engen grauen Anzügen wirken sie am Flügel wie ein Wesen mit vier Händen. Ihr Klavierspiel hat ihnen internationalen Ruhm eingetragen, ihre Körpersprache ist gewöhnungsbedürftig: Sie spielen mit geschlossenen Augen, den Kopf manchmal nach hinten geworfen, manchmal gebeugt, wie in Trance.

Diese Geniepose wirkte bei Mozarts heiterer C-Dur-Sonate, KV 521, befremdlich, obwohl sie dem 2. Satz durch viel Pedaleinsatz und häufige Rubati einen romantischen Anstrich gaben.

Mit Ravels „Ma mère l’oye“ gaben die Brüder eine raffinierte Probe französischer Klavierliteratur.
Mit Ravels „Ma mère l’oye“ gaben die Brüder eine raffinierte Probe französischer Klavierliteratur.

Doch bei Schuberts Fantasie in f-Moll, D 940, die in zerklüftete Seelenlandschaften führt, kamen ihre Qualitäten überzeugend zur Geltung: Vom ersten Einsatz des zweiten Spielers an, der abwechselnd die Noten c und f spielt, entstand eine beseelte Interpretation, mit schroffen Abbrüchen, dynamisch aufgebauten Steigerungen und tänzerischen Partien, bis zur großen Schlussfuge. Die Bravo-Rufe aus dem Publikum waren hochverdient.

Bei Schuberts Fantasie in f-Moll, D 940 kamen ihre Qualitäten überzeugend zur Geltung.
Bei Schuberts Fantasie in f-Moll, D 940 kamen ihre Qualitäten überzeugend zur Geltung.

Die vier Polonaisen, D 599, hätte man vielleicht etwas akzentuierter spielen können, ebenso wie den bekannten Militärmarsch, D 733/1. Dazwischen gaben die beiden Brüder mit Ravels „Ma mère l’oye“ eine raffinierte Probe französischer Klavierliteratur.

Schuberts Marche Caractéristique riss einen Teil des Publikums förmlich von den Sitzen.
Schuberts Marche Caractéristique riss einen Teil des Publikums förmlich von den Sitzen.

Schuberts Marche Caractéristique, D 968 B/1, mit seinen scharfen Rhythmen riss einen Teil des Publikums für den Schlussapplaus förmlich von den Sitzen. Zugaben: etwas aus Bizets „Jeux d’enfants“ und die Sonata aus Bachs Kantate „Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit“, wobei die Oberkörper ruhig blieben und die Zeit für einen Moment stillstand.

Dvořáks Kammermusikstücke gerieten unter der Leitung der Primaria Julia Fischer melodiös und luftig.
Dvořáks Kammermusikstücke gerieten unter der Leitung der Primaria Julia Fischer melodiös und luftig.

Am Nachmittag spielte das Julia-Fischer-Quartett mit Gästen: in Dvořáks fünf Bagatellen mit dem Solocellisten der Sächsischen Staatskapelle Dresden, Friedrich Thiele, der sein überzeugendes Schubertiade-Debut gab, und dem renommierten Pianisten William Youn. Dvořáks Kammermusikstücke gerieten unter der Leitung der Primaria Julia Fischer melodiös und luftig, immer elegant und ohne (vermeintlich) slawische Leidenschaftlichkeit. Die Entdeckung und der Höhepunkt dieses Konzerts war Alfred Schnittkes Klavierquintett, das er als Requiem für seine Mutter komponiert hat.

Das Julia-Fischer-Quartett mit Gästen.
Das Julia-Fischer-Quartett mit Gästen.

Der Bratschist Niels Mönkemeyer wies das Publikum auf die Schwierigkeiten hin: Es gäbe viel Schmerz, Wut und Unangenehmes, komponiert sei das Ganze mit Vierteltönen in Clustern, die fast körperlichen Schmerz auslösten, bis sich alles in Harmonie auflöse. Die Warnung war unnötig: Schnittkes Musik ist sehr subtil, die Komposition klingt nie grell, eher wehmütig, die Reibungen der Töne erzeugen ein Flirren, man bekommt das Gefühl, dass alles aus dem Lot ist. Im Publikum atemlose Spannung, die sich in Bravo-Rufen am Schluss löst. Schuberts berühmtes „Notturno“, D 987, nach der Pause wirkte nach diesem raffinierten Gespinst geradezu brutal einfach, was auch daran lag, dass der Geiger Alexander Sitkovetsky und nun Benjamin Nyfenegger am Cello mit exzessivem Vibrato und pastosem Strich die Feinheiten dieses Werks zudeckten. Entschädigt wurde man durch eine brillante Interpretation von Schumanns Klavierquintett, ungewöhnlich dadurch, dass nicht, wie oft, der Pianist im Mittelpunkt stand, da Youns Spiel sich wegen seines zarten Anschlags zu wenig durchsetzte. Die Impulse gingen vor allem von Mönkemeyer an der Bratsche aus.