Istrien fernab vom billigen Badeurlaub

Istrien für
Fortgeschrittene
Georges Desrues, Styria,
179 Seiten
Georges Desrues „Triest für Fortgeschrittene“, findet seine Fortsetzung: „Istrien für Fortgeschrittene“, bestens zum Urlaubsbeginn.
Balkan-Flair Zur Jahrtausendwende war Istrien nicht mehr als die günstige, schnell erreichbare Region mit Balkan-Flair. Aber das Blatt hat sich gewendet. Georges Desrues schreibt über den Landstrich, besser gesagt, er berichtet darüber, ehrlich, aufrichtig und mit einer Freude am Alltäglichen. Man liest dieses Buch gerne, da es fernab halbseidener PR hier mit ungeschönten und zugleich sehr gut recherchierten Berichten und Empfehlungen punkten kann. Der Autor schreibt sehr ernsthaft über regionale Vorzüge und entführt uns weg vom Massentourismus ins Landesinnere. Georges Desrues hilft, den Schmelztiegel aus Italien, Slowenien und Kroatien über nationale Grenzen hinweg neu zu definieren. Trüffel, Olivenöl sowie Wein und Fisch sind das Bindeglied zu Landschaft und unglaublich freundlichen Menschen.
Eine kritische Würdigung
Natürlich stellt sich immer die Gewissensfrage: Kann man dieses Buch lesen, auch wenn man demnächst nicht nach Istrien unterwegs ist? Unter Kosmopoliten nüchtern beantwortet: Ja. Selten bringt ein Autor knapp das Wesentliche auf den Punkt. Das Prachtkapitel nennt sich „Schwarz-Weiß-Malerei“ und widmet sich der Trüffel. Aber hier geht es um mehr: Völkerverständnis, Nachhaltigkeit, beispielsgebend der Umgang mit Fisch, die kritische Sicht auf die Geschichte zwischen Habsburgerreich, Faschismus und Tito-Kommunismus. Allein die Annäherung an Rijeka ist großartig, die ehemalige 2020er-Kulturstadt, die keine Gäste einladen durfte, da in diesem Jahr Covid wütete. Zuletzt die Königsfrage an den Autor: Bleibt er den sinnstiftenden Abwegen treu, oder wird es einmal Venedig oder die Toskana sein? Auch von dort kann man differenziert berichten.
John Ajvide Lindqvists neuer Roman „Unwesen“ spielt an der schwedischen Nordseeküste im Örtchen Norrtälje und dreht sich um Johan, Max, Marko, Siw und Anna. Sie kennen sich seit der Schulzeit. Bereits mit sieben Jahren stellt Max fest, dass er die besondere Begabung hat, in die Zukunft zu sehen. Auch Siw hat eine besondere Gabe: Sie kann in die Zukunft hören. 20 Jahre später verläuft ihr Leben in normalen Zügen, bis eines Tages ein mysteriöser, herrenloser Schiffscontainer auftaucht. Max und Siw haben Visionen und befürchten Übles. Was befindet sich wohl in dem Schiffscontainer? Stephen Kings „Es“ lässt grüßen, aber nur ansatzweise.
Wer Horror sucht, ist fehl am Platz
Lindqvists Charaktere müssen alle ihr Päckchen tragen: Siw leidet an ihrer Figur und kommt in der Männerwelt nicht an. Johan hat eine psychisch kranke Mutter und musste deshalb schon früh bei Freunden unterkommen. Max fällt es schwer, Kontakt zu anderen Menschen aufzubauen. Markos Eltern kommen aus dem ehemaligen Jugoslawien und sind in Schweden Flüchtlinge. Die Tatsache, dass der Autor als „Schwedens Antwort auf Stephen King“ bezeichnet wird und die ersten Kapitel doch sehr düster sind, lässt den Leser Horrorliteratur erwarten . Nach dem ersten Drittel des Buchs wird jedoch klar, dass es sich hierbei vielmehr um einen gesellschaftskritischen Roman handelt, der sich mit dem realen Horror unserer Zeit auseinandersetzt. Lindqvist ist ein guter Erzähler – er beschreibt Situationen greifbar, findet sich authentisch in seine Charaktere und bringt das Leben in Norrtälje auf den Punkt. Fazit: Trotz der Relevanz der Themen, fehlt es an der nötigen Spannung – der Autor schweift in einigen Passagen ab und lässt den Roman so zu langatmig wirken.

Unwesen
John Ajvide Lindqvist,
dtv, 767 Seiten