So schmeckt der Sommer

Grete Scherl-Neyer präsentiert Malerei aus drei Jahrzehnten.
Batschuns Gelb ist trotz seiner dramatischen Unveränderlichkeit eine Farbe mit tausenderlei Bedeutungen. Ob Gelb die erste Farbpräferenz von Kindern ist, gilt es noch zu untersuchen, Tatsache ist, dass Kinder die Sonne immer in Gelb malen. Gelb ist aber auch die Farbpräferenz der gebürtigen Bludenzerin Grete Scherl-Neyer, die über 30 Jahre lang an Mittelschulen Bildnerische Erziehung unterrichtet hat und jetzt im Bildungshaus Batschuns ihre Malerei aus drei Jahrzehnten präsentiert. 1994 war das letzte Mal, dass sie im Bildungshaus ihre Arbeiten zeigte.

Picasso monierte einmal, dass es Maler gebe, die aus der Sonne einen gelben Fleck machen, und es aber andere gibt, „die Dank ihrer Kunst und Intelligenz einen gelben Fleck in die Sonne verwandeln“. So auch Grete Scherl-Neyer, die einen gelben Fleck in eine wunderbare Zitrone verwandelt, deren betörend frischen, südländischen Duft man förmlich riechen kann.

Malerei hat Grete Scherl-Neyer schon von frühester Kindheit an begleitet; anstatt Hausaufgaben, gab sie als Kind in der Schule lieber eine Zeichnung ab. „Form und Farbe ersetzten in ihrer Kindheit nicht selten das Wort und die Schrift“, so Bruno Winkler in dem Hinweistext zur Ausstellung. So wurde aus Berufung ein Beruf.

Von Zitronengelb zu Kobalt Blau
Scherl-Neyers Kompositionen changieren vom streng Geometrischen bis ins floral Ornamentale, ihre Farbgebungen vom schon besagten Zitronengelb zu Schönbrunner Gelb, über Russisch Grün bis Kobalt Blau. Die jüngeren Arbeiten von Grete Scherl-Neyer sind in der Farbgebung und auch im Malduktus wesentlich zarter und zurückhaltender als ihre älteren, Pastellfarben in Rosa-, Violett-, Gelb-, Flieder- und Minttönen.

Die Strenge ist gewichen, die Töne versöhnlich. Sie malt Ausblicke aus ihrem Atelier, „Elmars Tenn“ (2020), „Brunhildes Hus“ (2020), „Anneles Hortensien“ (2022), oder „Blick nach Osten“ (2020). Daneben entstehen aber auch Bilder einer „sanften“ Geometrie wie „Ohne Titel“ (2022). Gleichzeitig werden auch Übermalungen zum Prinzip erklärt, für Scherl-Neyer ein Prozess des Suchens, des Herantastens und des Findens.

Das Credo in ihren Arbeiten ist das In-sich-Ruhende, verortet in Scherl-Neyers Umfeld. Das Unscheinbare, das Alltägliche, man hat das Gefühl, wie durch ein Fenster auf etwas zu blicken, in dem die Dissonanzen dieser Welt in einer Harmonie und umgekehrt die Harmonie in Dissonanzen in einer gelassenen Ernstheiterkeit zerschmelzen.

Im Mai 1921 besuchte Marcel Proust, sterbenskrank, die Vermeer-Ausstellung im Jeu de Paume/Paris; einen kleinen gelben Fleck auf einer winzigen Wand in der „Ansicht von Delft“ (1660) hielt er für das „schönste Gemälde der Welt“; er nahm ihn derart gefangen, dass er beinahe einen tödlichen Schlaganfall erlitt. Grete Scherl-Neyers Arbeiten sind imstande, uns anzuhalten, lassen verweilen und einen Moment lang vergessen. So schmeckt der Sommer.