Ein Held mit wogender Wampe

Wagners „Siegfried” feierte bei den Festspielen Erl Premiere.
Erl Wo alle sechs Jahre das Leiden Jesu dargestellt wird, im Passionsspielhaus Erl, hatte am Samstag Wagners „Siegfried“ Premiere. Während des Vorspiels sieht man die erhoffte Erlösergestalt Siegfried als Kind mit dem Schwert spielen, dann wuchtet sich Vincent Wolfsteiner auf die Bühne: mit wogender Wampe und nicht gerade das Abbild eines Helden.
Differenzierte Interpretation
Doch ihm gelingt eine differenzierte Interpretation dieser Rolle: Er wirkt umwerfend naiv und so, als könne er vor Kraft kaum gehen, man glaubt ihm seine Gutartigkeit und seine Angst und sein Zartgefühl in der Begegnung mit Brünnhilde. Abgesehen von einem kleineren Durchhänger gestaltete der Münchner Tenor seine Riesenrolle mit Kraft und dennoch rundem Stimmklang. Peter Marsh als sein tückischer Ziehvater Mime wirkte im Duett mit seinem unwilligen Zögling auch komisch – Alleinerziehende haben hier vielleicht ihre Lebenssituation wiedererkannt.
Mit metallischem Stimmklang und fast zynischer Eleganz präsentierte sich Simon Bailey als Wanderer, er erhielt auch den größten Schlussapplaus. Craig Colclough als Alberich erschreckte zuerst durch sein heftiges Tremolo, setzte seinen Bass aber wirkungsvoll zur Darstellung eines Bösewichts ein. Der tiefgrundierte Fafner von Anthony Robin Schneider komplettierte das erfreuliche Männerensemble. Auch die dunkel timbrierte litauische Mezzosopranistin Zanda Švede als Erda und Christiane Libor als erschrockene und erlöste Brünnhilde überzeugten mit ihrer Rollengestaltung. Einziger Wermutstropfen: der Waldvogel von Anna Nekhames, der unangenehm gepresst klang. Das ganze Ensemble sang mit solcher Textdeutlichkeit, dass man die Übertitel kaum einmal brauchte, das Orchester unter Erik Nielsen setzte die farbige Partitur eindrucksvoll um.
Fast schon humoristisch
Als Regisseurin hat Fassbaender ihre intelligente und werktreue Interpretationslinie erfolgreich weitergeführt. Der Verzicht auf großen szenischen Aufwand – Fafner ist kein Riesendrache, sondern eine Kreuzung aus schwarzem Samurai und Söldnerführer, lediglich der Waldvogel wird gedoppelt – stellt die menschlichen Seiten der Darsteller fast kammerspielartig in den Mittelpunkt. Überraschend und fast schon humoristisch ist die Gestaltung der Erda-Szene nicht mit einem unförmigen Urwesen in Kartoffelbraun, sondern mit einer eleganten Blondine in weißem Négligée, die sich auf einem Bett im Stil des Neobarock unter braunen Seidenlaken räkelt, während Wotan eine Champagnerflasche entkorkt. Man kann schon vor der „Götterdämmerung“ darauf wetten, dass dieser Erler Ring Bayreuth den Rang ablaufen wird. UL
Weitere Termine unter: www.tiroler-festspiele.at; Götterdämmerung feiert am 16. Juli Premiere.