Philemon und Baucis am See oder „Alles is leiwand“

Kultur / 17.07.2023 • 19:41 Uhr
Helmut und Johanna Kandl zusammen mit Galeristin Lisi Hämmerle. THOMAS SCHIRETZ
Helmut und Johanna Kandl zusammen mit Galeristin Lisi Hämmerle. THOMAS SCHIRETZ

Helmut & Johanna Kandl stellen in der Galerie Lisi Hämmerle aus.

BREGENZ Auf den ersten Blick glaubt man, Philemon und Baucis vor sich zu haben, jenes legendäre Liebespaar, von dem Ovid in seinen Metamorphosen erzählt, ein glückliches Paar in Eintracht und Liebe. Sie lebten lange als treue Wächter eines Tempels des Göttervaters Zeus, bis ihr Ende im hohen Alter nahte und beide gleichzeitig starben; Philemon wurde in eine Eiche, Baucis in eine Linde verwandelt, und so umschlangen sie einander trotz ihrer Verwandlung noch immer liebevoll mit ihren Zweigen, und durch ihre Blätter rauschte das Lob des Zeus.

Gewitzt, humorvoll, gescheit, sanftmütig, dennoch „Pfeffer im Arsch“. Die Rede ist von Johanna Kandl, ehemals Professorin für Malerei an der Angewandten in Wien (2005–2013) und von Helmut Kandel, dem Gründungsmitglied und ehemaligen Geschäftsführer der Kunsthalle in Krems. Sie ist die Malerin, unzählige Studenten sind durch ihre Hände gegangen, er, ein begnadeter Koch, der Essen, Erotik und Religion zu sinnlichen Collagen verbindet und vereint. Beiden zu eigen ist ihre große und unerschütterliche Liebe zur Natur. Und das „Gspürige“, wie man in Vorarlberg sagt. Sie leben in Floridsdorf bei Wien und seit einigen Jahren in Berlin. Seit 1997 arbeiten sie zusammen, vor allem bei partizipativen und Rechercheprojekten.

Genau nach zehn Jahren hat das Künstlerehepaar die Einladung der Galeristin Lisi Hämmerle zu einer weiteren Einzelausstellung angenommen; damals im Jahre 2013 lautete der Titel der Ausstellung „Wir holen uns das Goldene Vlies“ (Zitat aus den Schriften Bertha von Suttners).

Nacktheit einst und heute

„Grün ist the new gold“, das Motto der diesjährigen Sommerausstellung von Helmut & Johanna Kandl in der Galerie Hämmerle, betitelt nach einem Gemälde von Johanna. „Hier liege ich gemütlich an einem See in der Nähe von Berlin und lasse mir die Sonne auf die Haut scheinen. Europa wird immer grüner und ruhiger, weil es woanders schwärzer, schmutziger, lauter wird. Es gibt nichts, das mehr Business verspricht als Grünversprechen. Und jetzt ist Grün olivgrün geworden und aus den Pazifisten Bellizisten“, so Johanna augenzwinkernd. Das Video „Brünner Straße 165“ (H. & J. Kandl, 2014) thematisiert einen anderen Wandel. „1957 hat mich mein Vater im Garten hinter dem Farbgeschäft am Teich mit einer Super-8-Filmkamera nackt, und auch meine Mutter, die eine Kombineige anhatte, gefilmt. 2009 wollte ich, nachdem meine Eltern gestorben waren, noch einmal in diesen Teich gehen, nackt. Es war Winter und es gab nur ein kurzes Zeitfenster. 1957 ist die nackte Frau das Anstößige gewesen, heute das nackte Kind“, kommentiert Johanna.

Anachronistisches Überbleibsel

Ein paar Hundert Meter davon entfernt, auf demselben Grundstück, stehen die „Aborigines“ (2022), so der Titel des Kunstwerks. Helmut und Johanna Kandl, ebenfalls nackt (Grant Woods „American Gothic von 1930 drängt sich auf) im Hinterhof des urgroßelterlichen Bauernhofs im Wiener Arbeiterbezirk Floridsdorf, in dem das Bauernhaus als anachronistisches Überbleibsel bestehen bleibt. Vielleicht nicht nur das Bauernhaus? Helmut und Johanna Kandl gleichen dabei Philemon und Baucis und künden von einer Welt, die einmal war und nicht mehr ist. Eine Ausstellung zum Lustwandeln. THS