Fassbaenders raffinierte Menschengestaltung

Beeindruckende Inszenierung der “Götterdämmerung” in Erl.
Erl Siegfried und Gunther besiegeln ihre Blutsbrüderschaft so: Der eine schneidet sich in die Pulsadern, drückt sein Handgelenk wie eine Zitrone über dem Glas aus und schleckt dann die Wunde ab, der andere ritzt sich in eine Fingerspitze und verbindet den winzigen Kratzer mit seinem Taschentuch. Mit solchen Gesten unterstützt die Regisseurin Brigitte Fassbaender ihre raffinierte Menschengestaltung und überzeugt in dieser „Götterdämmerung“ einmal mehr durch die immer plausible Entwicklung der Figuren.




So gelingt in dem kahlköpfigen Hagen im Zweireiher, den er wie eine Rüstung trägt (Bühnenbild und Kostüme Kaspar Glarner), das packende Porträt eines diabolischen Intriganten, fabelhaft gesungen und gespielt von Robert Pomakow. Gunther, ein Playboy im Stil von Gunther Sachs, doch mit totenbleichem Gesicht und weißblonden Haaren, wird von Manuel Walser verkörpert, Gutrune in ihrer Verwirrung klangschön gesungen und dargestellt von Irina Simmes. Eindrucksvoll gelingen die Massenszenen mit dem wuchtig auftrumpfenden Chor.




Die mythische Welt bekommt mit den drei Nornen (Marvic Monreal, Anna-Katharina Tonauer, Monika Buczkowska) einen humoristischen Akzent: Mit aufgetürmtem Blondhaar sehen sie aus wie skandinavische Handarbeitslehrerinnen, arbeiten jede an einem breiten Schal und singen bestrickend, ebenso wie die sexy Rheintöchter (Anna Nekhames, Karolina Makula, Katharina Magiera). Der Alberich des Craig Colclough setzt seinen Bass besonders farbig ein, Zanda Švēde als Waltraute gestaltet subtil.




Die Brünnhilde der Christiane Libor überzeugt in den Szenen, in denen sie wild und rachsüchtig ist, auch in der Trauer des Schlusses. Die liebende Seite gelingt ihr weniger. Gänsehauterregend der Regieeinfall, Siegfried als Gunther mit einer Voodoo-ähnlichen Maske, die er am Stiel hält, auftreten zu lassen. Vincent Wolfsteiner singt seine Partie völlig mühelos und absolut glaubwürdig in seiner Naivität, mit berückendem Schmelz in seinem letzten Gedenken an Brünnhilde. Grandioser Höhepunkt der Inszenierung: Über den ermordeten Siegfried senken sich die Bretter, die die Bäume des Waldes symbolisieren, während der Trauermarsch ertönt.




Die Videos von Bibi Abei tauchen die Bühne mal in die Fluten des Rheins, mal wabern Wolken. Keine optischen Hoffnungssignale am Schluss, nur die lösende Musik. Großer Applaus auch für das Orchester unter Erik Nielsen, das den extremen Anforderungen an Farbigkeit und Fluss voll gerecht wurde. 2024 wird der ganze „Ring“ zweimal aufgeführt – nichts wie hin! Ulrike Längle