Walter Fink

Kommentar

Walter Fink

Nirgends lieber als hier

Kultur / 04.08.2023 • 17:34 Uhr

Martin Walser ist vor einer Woche gestorben. Das gesamte deutsche Feuilleton hat ihm Tribut gezollt, auch jene, die dem kritischen Geist vom Bodensee kritisch gegenüberstanden. Über all die Jahre war Walser Kandidat für den Literatur-Nobelpreis, anders als seine deutschen Kollegen Heinrich Böll und Günter Grass hat er ihn aber nie bekommen. Er hat’s nicht gesagt, aber er grämte sich darob. Ich meine: Mit Recht, denn er hätte diese Krone der Literatur verdient gehabt. Aber ich bin, um mit Walser selbst zu sprechen, ein schlechter Zeuge, weil ein Bodenseefanatiker. Das war er auch. Kaum eine Arbeit von ihm, kein Roman, keine Novelle, kein Gedicht, in dem der Bodensee keine Rolle gespielt hätte. Kein Wunder, wuchs er doch in Wasserburg auf, wo seine Mutter die Bahnhofrestauration betrieb. Nachzulesen in seinem Roman „Ein springender Brunnen“ (Verlag Suhrkamp).

Nicht nur der Bodensee war ihm wichtig, auch seine engere Heimat um den See. Vor allem die kulturelle Region, in der er nicht müde wurde, jungen und auch älteren Schreibenden durch seine Popularität zu helfen. Eine besondere Zuneigung brachte er Vorarlberg und seiner Kultur der Siebziger- und Achtzigerjahre entgegen. Oft war er hier, nahm an unseren Sitzungen teil, oder wir trafen ihn in einer Wirtschaft am See, um zu diskutieren. Er in seiner besonderen, klaren, lupenreinen Sprache, die durchaus aber auch in den Dialekt wechseln konnte, aus seinen graublauen Augen unter den ungeheuerlichen Augenbrauen scharf blickend. Er verzieh keine Ungenauigkeit. Besondere Freundschaft verband ihn mit Oscar Sandner, dem Bregenzer Schriftsteller und Kulturaktivisten, oder mit Hubert Berchtold, dem vitalsten Maler in Vorarlberg, dem er auch die Laudatio zur Verleihung des Konstanzer Kunstpreises 1982 hielt. Eine denkwürdige Rede, vielleicht die beste, die ich je zur Kunst gehört habe. Nachzulesen in Walsers Buch „Woher diese Schönheit – Über Kunst, über Künstler, über Bilder“ (Isele Verlag).

Martin Walser und der Bodensee – das war eine Einheit, ein gemeinsames Lebenswerk. Ein ganzes Buch haben Lorenz Göser und Elmar Kuhn mit Walser-Zitaten zum See gefüllt („Nirgends wäre ich lieber als hier“, Verlag weissbooks.w), oder das berühmteste, „Heimatlob“ (Verlag Robert Gessler), in dem Walser gemeinsam mit dem Aquarellisten André Ficus dem See eine Liebeserklärung nach der anderen schickt.

Martin Walser soll das letzte, das allerletzte Wort haben – natürlich aus „Heimatlob“: „Übereinstimmung müsste etwas Schönes sein. Der Himmel über dem See stimmt zum Beispiel immer mit dem See überein. Man kann nicht sagen, der Himmel richte sich nach dem See oder der See richte sich nach dem Himmel. Auch konzentriert sich der Himmel nicht auf sich; der See tut das auch nicht. Beide haben alles voneinander. Es wäre schön, sich nicht auf sich oder sonst etwas konzentrieren zu müssen. Das wäre wahrscheinlich Natur, Paradies.“

„Nicht nur der Bodensee war ihm wichtig, auch seine engere Heimat um den See. Vor allem die kulturelle Region.“

Walter Fink

walter.fink@vn.at

Walter Fink ist pensionierter Kulturchef des ORF Vorarlberg.