„Jedermann hat etwas zu verheimlichen“
Sam Spade in Dashiell Hammets aus „Der Malteser Falke“.
Für den ausklingenden Sommer möchte ich Ihnen ein Buch und dessen Verfilmung ans Herz legen. Dessen Wiederlesen und Wiedersehen bereiteten mir großes Vergnügen. Das literarische Meisterwerk von 1930 stammt von Dashiell Hammett, dessen beste Verfilmung von John Huston. Sein Titel: The Maltese Falcon. Das Meisterwerk begründete nicht nur Hammetts Ruhm als Avantgardisten des realistischen Romans, sondern ist bis heute der fesselnde literarische Auftakt des „Noir“ in Literatur und Film. Hustons kongeniale Verfilmung prägte die klassische „Noir“-Periode des amerikanischen Films, der mit seiner pessimistischen Grundstimmung und den harten Schwarz-Weiß-Szenarien radikal mit Hollywoods rührseligem, bunten Happy-End-Kino brach.
Buch und Film zeichnen das Bild einer Gesellschaft, in der desillusionierte Antihelden das Gute negieren und den Glauben an das Glück verloren haben. Im hartgesottenen, meist zynischen Privatdetektiv Sam Spade hebt Hammett die Grenze zwischen Schurke und Detektiv, zwischen Gut und Böse auf. Als skrupelloser und längst korrumpierter Einzelkämpfer unterwandert er Gesetz und Moral, wird selbst Teil des von ihm bekämpften kriminellen Milieus und damit zur archetypischen Figur des „Noir“. Hammetts Sam Spade folgen Charaktere wie Chandlers Philip Marlowe oder MacDonalds Phil Archer, lakonische Einzelgänger, die ohne dauerhafte emotionale Bindung durch die düsteren Straßen heruntergekommener, gefährlicher Großstädte ziehen und in schäbigen Büros auf rare Aufträge lauern – ins Abseits geratene Helden, die längst den hehren Zweck den unlauteren Mitteln geopfert haben. In der irrationalen, unberechenbaren Welt des „Noir“ ist jeder auf der Suche nach seinem Vorteil, potenziell verführbar und böse. Der stets zynische Sam Spade, im Film grandios von Humphrey Bogart verkörpert, erhält Besuch von einer attraktiven, aber umso abgebrühteren Klientin, die ihn mit ihren Reizen und Lügengeschichten und mit der Aussicht auf leichtes Geld schnell um den Finger wickelt. Und schon sind wir inmitten eines Verwirrspiels falscher Fährten, Gier, Lügen, Verrat, Mord und mieser Typen. Alle vereint die Suche nach einer geheimnisvollen schwarzen Statue, und in der Wahl ihrer Mittel, das Objekt ihrer Begierde – den „Malteser Falken“ – in die Hände zu bekommen, gehen sie mörderisch zur Sache. Hammetts Roman und Hustons Verfilmung zeugen von der bis heute anhaltenden Faszination an jener existenziellen „Twilight Zone“, in der sich Lüge und Wahrheit, Verbrechen und Gerechtigkeit vermischen, in der sich materielle und sexuelle Gier und bürgerliche Moral ineinander auflösen und zu neuen faszinierenden dunklen Parallelwelten verdichten. Im „Malteser Falken” heben sich die Zuschreibungen von Gut und Böse, von Schuld und Unschuld, die Rollen von Opfer, Täter oder Zeuge auf. Roman und Film schaffen eine bis heute nachwirkende Ästhetik eines harten Realismus, düsterer Licht- und Schattenatmosphären, zynischer, knapper Dialoge und einer tragischen Schicksalshaftigkeit, die den „American Dream“ von Freiheit, Glück und Selbstbestimmtheit auf den Kopf stellt. Die existenzielle Ausweglosigkeit des „Noir“ beschrieb der Schriftsteller Alfred Andersch: „Das Gefühl der Vergeblichkeit und Machtlosigkeit ist ihr Leitmotiv.“
Im ,Malteser Falken‘ heben sich die Zuschreibungen von Gut und Böse, von Schuld und Unschuld, , Täter oder Zeuge auf.
Gerald Matt
gerald.matt@vn.at
Dr. Gerald Matt ist Kulturmanager und unterrichtet an der Universität für Angewandte Kunst in Wien.