Deutscher Buchpreis: Schachinger im Finale

Kultur / 22.09.2023 • 18:53 Uhr
EchtzeitalterTonio Schachinger, Rowohlt, 368 Seiten

Echtzeitalter

Tonio Schachinger, Rowohlt, 368 Seiten

Der Schulroman erzählt vom Schüler Gerber im „Echtzeitalter“.

Roman Till Kokorda ist der neue Kurt Gerber und sein Klassenvorstand, der Deutschprofessor Dolinar, der neue „Gott Kupfer“: gefürchtet, ungerecht, fordernd und pedantisch. Aber „Echtzeitalter“ ist nicht nur ein Kräftemessen zwischen einer Autoritätsperson, die ihre Macht unverschämt ausspielt, und einem Schüler, der darunter leidet, sondern auch eine Einführung in die Welt der Gaming-Profis, eine Coming-of-Age-Geschichte, aber vor allem ist es ein Schulroman.

Übrigens: Das Marianum gibt es wirklich. Jedem Wiener Leser ist sofort klar, dass hier das Theresianum gemeint ist. Das Spiel mit der Realität, das sich auch in zahllosen Sticheleien und Anspielungen auf die Wiener Gesellschaft, ihre Vorurteile und Standesdünkel ausdrückt, hat seinen Reiz, auch für das deutsche Lesepublikum, auf das es verschroben und exotisch wirken mag.

Deutlich spannender als das, was in der Schule passiert, findet Till, was sich am PC abspielt. Im Gegensatz zu anderen Büchern bleiben die zahllosen Stunden, die der Teenager im Online-Strategiespiel verbringt, nicht als abstrakte Anklage stehen, sondern erhalten Lebendigkeit und Faszination. Man darf annehmen, dass der ehemalige Theresianum-Schüler Schachinger auch hier eigene Erfahrungen einbringen kann – es muss aber auch nicht sein.

Während Till als jüngster Top-10-Spieler in Internet-Foren weltweit verehrt wird und zu Gaming-Wettbewerben nach Deutschland und China reist, schafft es seine Freundin Feli mit literarischen Versuchen zu Lokalruhm. Über ihre pointierte Auseinandersetzung mit der nicht nur ruhmreichen Vergangenheit des Marianums schafft es der Autor, sein Schulthema ins Politische auszuweiten. Kanzler Kurz, Türkis-Blau und die Ibiza-Affäre finden Einzug in das Geschehen, das am Ende durch Corona direkt ins Schulleben eingreift. Ausgerechnet im Abschlussjahr sitzt Till mit seiner Freundin in der vom Vater mit 18 Jahren geerbten Wohnung statt im Klassenzimmer, kann schon am frühen Morgen am PC in die Welt von „Age of Empires 2“ eintauchen und es sich leisten, bei der Deutsch-Matura ein leeres Blatt abzugeben, da seine Jahresnote ihm bereits das Bestehen der Reifeprüfung sichert.

Der 31-jährige Wiener Schachinger hat dreieinhalb Jahre nach seinem Debüt kein leeres Blatt abgegeben. Sein Buch hat 360 Seiten. Genug Stoff, um mit „Echtzeitalter“ ins Finale für den Deutschen Buchpreis zu kommen. Von sechs Österreichern hat nur er den Sprung auf die Shortlist geschafft. APA, CRO