Eine Reise zwischen Erde und Erinnerung

Die faszinierende Welt der Solange Pessoa im Kunsthaus Bregenz.
Bregenz Die neue Ausstellung im KUB ist eine visuelle, taktile, akustische und räumliche Erkundung von Materialien und Geschichten. Solange Pessoa erforscht das Wesen und die Einfachheit der Dinge in Bezug auf die Geschichte der Erde und der Menschheit. Sie konzentriert sich auf Prozesse und Zustandsänderungen, um materiellen Energien Bedeutung zu verleihen. Ihre Arbeiten zeugen von Geduld, Sensibilität und Aufmerksamkeit, beispielsweise beim Schmelzen und Aushärten von Bronze und den daraus entstehenden Skulpturen. Im Erdgeschoss zeigt ein eindrucksvolles Video den Prozess der Verflüssigung und Aushärtung von Bronze, großflächig auf eine Betonwand projiziert, die Farbe und Licht rhythmisch auf die Oberfläche wirft. Pessoa (*1961) lebt in Belo Horizonte, hatte Einzelausstellungen in renommierten Institutionen und war 2022 auf der Biennale von Venedig vertreten.
Die Künstlerin ist vom KUB begeistert: „Ich bin absolut fasziniert von der Architektur hier, sie ist sinnlich und metaphysisch, materiell und immateriell – davon, wie das Licht die großzügigen Räume durchdringt… die Architektur wird sinnlich erlebbar. Es war eine große Ehre für mich, diese Erfahrung machen zu dürfen.“
Brasilien und Österreich
Im ersten Stock wird der Besucher von Jutesäcken empfangen, die wie hohe Wände von der Decke hängen, mit Erde gefüllt sind und eine Vielzahl von Pflanzen, Knochenteilen und getrockneten Blumen beherbergen. Diese Installation offenbart ein universelles Archiv, das eine historische Verbindung zwischen Brasilien und Österreich seit dem frühen 19. Jahrhundert herstellt, als die habsburgische Erzherzogin Leopoldine den Kronprinzen Pedro I. aus dem portugiesischen Königshaus Braganza heiratete. „Die Installation spricht mehrere Sinne an und lädt die Besucher zu ungewöhnlichen Entdeckungen und Gedankengängen ein. Sie weckt Erinnerungen und ermöglicht materielle und taktile Erfahrungen. Die Arbeit bildet eine Art universelles Archiv, divers und unendlich, das Material – physisch und symbolisch – beherbergt und eine Beziehung zwischen Natur und Kultur herstellt“, stellt die Künstlerin fest.
Im zweiten Obergeschoss trifft der Besucher auf eine Gruppe von Bronzeskulpturen, an deren Fertigstellung Pessoa seit 2012 gearbeitet hat. Sie sind so platziert, dass sie sowohl als freistehende Objekte als auch als Reliefs an den Wänden den Raum einnehmen. Sie stellen amorphe Fundstücke dar, die an Meteoriten oder gestaute Lava erinnern. Die schwarzen, bröckeligen Objekte laden zur Auseinandersetzung mit Materie und Veränderung ein und spiegeln die tiefe Verbindung zwischen Materie und Raum wider, die Solange Pessoa in ihrer Kunst erforscht.
Im obersten Stockwerk nimmt die Ausstellung mit einer unglaublich beeindruckenden Skulptur aus Vogelfedern eine Wendung. „Miracéus“ ist ein dichter Teppich aus verschiedenen Vogelfedern, die im Laufe der Jahre gesammelt wurden. Im Zentrum der Installation befindet sich ein Tunnel, der den Betrachter einlädt, nach oben in die Dunkelheit zu schauen. An den Wänden hängen Ölgemälde, die organische Formen in einfacher Abstraktion zeigen. Sie beziehen sich auf Animismus und Schöpfungsmythen, die in der Arbeit der Künstlerin eine große Rolle spielen. Die Werke strahlen eine Art rituelle und mythische Dimension aus, die den Betrachter auf eine tiefere Ebene der Reflexion und des Erkennens der Natur und ihrer Bedeutungen führt.
Materie, Geschichte und Raum
Das Werk von Solange Pessoa ist ein beeindruckender Dialog zwischen Materie, Geschichte und Raum. Ihre sorgfältige Auseinandersetzung mit Material und Transformation erzeugt eine tiefe Resonanz und ein Verständnis für die miteinander verwobenen Geschichten und Energien, die unsere Welt prägen. Die Ausstellung im Kunsthaus Bregenz, die vom 11. November 2023 bis zum 4. Februar 2024 zu sehen sein wird, bietet den Besuchern die Gelegenheit, in einen Dialog zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Materie einzutreten sowie tiefer in die Ströme der Zeit, der Materie und der menschlichen Erfahrung einzutauchen. Es ist eine Einladung, das weite Feld unserer Verbindung mit der Erde und der Geschichte neu zu überdenken.
