Wenn Linie Bewegung wird

Birgit Pleschberger und Anna Stemmer stellen im Bildungshaus Batschuns aus.
Batschuns Die Kuratoren der Ausstellung Johannes Ludescher und Georg Vith haben gute Arbeit geleistet. Sie haben zwei Künstlerinnen zusammengebracht, die beide ihre Sprache im Bereich der Zeichnung gefunden haben, aber eine ganz unterschiedliche künstlerische Herkunft haben. Während Anna Stemmer, geboren 1979 in Alberschwende und im Großen Walsertal aufgewachsen ist, sich dem Studium der Fotografie und der Malerei in Wien widmete, hat die gebürtige Kärntnerin Birgit Pleschberger (45) Bildhauerei am Mozarteum in Salzburg studiert und lebt und arbeitet seit einiger Zeit in Vorarlberg. Beiden gemeinsam ist ihre unbändige Lust am zeichnerischen Gestalten. Beide beherrschen ihr Handwerk auf äußerst präzise Weise, beide haben Sinn für Humor in ihren Darstellungen und beiden ist die Illustration ein Credo.
Das Spiel mit Gegensätzlichkeiten
Anna Stemmer hat ihre Arbeiten nicht nach Themen, sondern nach Farben geordnet, man könnte von einer roten, blauen und grünen Wolke sprechen, während Birgit Pleschberger gerne mit Gegensätzlichkeiten spielt. Man spürt in Pleschbergers Arbeiten ihre künstlerische Herkunft aus der Bildhauerei, ihre Arbeiten sind nahezu raumgreifend, speziell ihre ausgeschnittenen Hände bzw. Arme („hands 4“, „hands 2“, 2023), die an Gebärdensprache, an sanfte Berührungen, oder die Hände eines Puppenspielers erinnern, wären da nicht die Einschusslöcher und das Ganze in eine brutalisierte Szenerie verfrachten.

Oder auch ihre wunderbare vierteilige Arbeit „Watershots“ (2023), ausgeführt in hochqualitativer Aquarelltechnik, die sich erst bei näherer Betrachtung erschließt. Die Linien erzeugen eine Bewegung, auch hier wieder Einschusslöcher, manche mit Wirkungskreisen versehen, manche gänzlich ohne Wellenbewegung. Diese Arbeit fußt auf einer früheren Arbeit von Pleschbergers mit dem Titel „Rapunzel“ (man denkt hier an langes, wallendes, sich bewegendes Haar). „Pariser Armbrust“ (in Paris entstanden, 2008-2023) ist ein meisterhaftes Vexierbild Pleschbergers, ein auf den ersten Blick undefinierbares Etwas, das sich aber bei längerer Betrachtung als ein Geländer in Aufsicht entpuppt, wie auch ihre Arbeit „PariserRadständerrevolver006“ (2008-2023).

Man erinnert sich an Arbeiten vom M. C. Escher (1898-1972) und sein Spiel mit Perspektiven und Verzerrungen, die zu seinem Markenzeichen geworden sind. Ein Kleinod Pleschbergers, ursprünglich als Aufbewahrungsort für Tabak verwendete aufklappbare Schachtel, mit dem Titel „Wenn alles weg wäre, box“ (2023). Der Deckel wurde von ihr immer wieder mit Gedichten überschrieben, sodass nur noch eine blaue Grafik auf weißem Grund sichtbar und das eine oder andere einzelne Wort auszumachen ist.
Tagebuch des Alltags

Anna Stemmers Rückenfiguren erinnern bisweilen an die von Caspar David Friedrich, gerade ihre Arbeit „Immer diese Morgen“, eine schöne Reminiszenz, allerdings schweift ihr Blick nicht über Motive aus der Sächsischen Schweiz, sondern über die Bergrücken des Rätikons. Auslassungen bestimmen bisweilen in hohem Maße ihre Darstellungen. Feingliedrig und spektakulär ihre Zeichnungen „Ein einsamer Zipfelbobfahrer“, ein kaum auszumachender Zipfelbobfahrer in einer weiten Schneelandschaft, oder auch „Die Gang ist wieder da“, ein paar Dohlen, die auf einer Stromleitung sitzen.

„Meine Zeichnungen sind auch als Tagebuch meines Alltags zu verstehen, es geht auch um das genaue Schauen“, wie Anna Stemmer sagt. Kleinste Irritationen, unscheinbare Schicksale am Rande, Unspektakuläres, Dinosaurier tummeln sich einen Steinwurf weit von einer Gartentür entfernt. Und last but not least, die Rote Wand („Die Rote Wand in der Dezembermorgensonne“) in einem Hauch von Zartblau.
Thomas Schiretz
Anna Stemmer/Birgit Pleschberger
Zwei Zeichnerinnen
bis 14. April 2024
Bildungshaus Batschuns