Du weißt, ich liebe das Leben

Kultur / 22.01.2024 • 12:10 Uhr
Fontanes "Effi Briest" und "Der junge Mann" von Annie Ernaux verschmelzen in Schaan zu einem Stück.  <span class="copyright">Ilja Mess</span>
Fontanes "Effi Briest" und "Der junge Mann" von Annie Ernaux verschmelzen in Schaan zu einem Stück. Ilja Mess

Premiere von „Effi Briest / Der junge Mann“ im Theater am Kirchplatz.

Schaan Thomas Spieckermann, Intendant des Tak in Schaan, hat zwei Texte der Weltliteratur, „Effi Briest“ von Theodor Fontane und „Der junge Mann“ der Literaturnobelpreisträgerin (2022) Annie Ernaux zu einem Stück verschmolzen und schuf dadurch eine sehenswerte Theateradaption.

Effie Briest unterwirft sich den strengen Konventionen des 19. Jahrhunderts, während die Protagonistin von Annie Ernaux, eine Frau mittleren Alters, eine Beziehung mit einem dreißig Jahre jüngeren Studenten eingeht. <span class="copyright">Ilja Mess</span>
Effie Briest unterwirft sich den strengen Konventionen des 19. Jahrhunderts, während die Protagonistin von Annie Ernaux, eine Frau mittleren Alters, eine Beziehung mit einem dreißig Jahre jüngeren Studenten eingeht. Ilja Mess

Während Effie Briest sich dem unerbittlichen Korsett der Konventionen des 19. Jahrhunderts unterwirft, ist die Protagonistin (ihr Alter Ego) von Annie Ernaux eine Frau mittleren Alters, die sich auf einen dreißig Jahre jüngeren Studenten einlässt und mit ihm Dinge erlebt „die noch einmal zu erleben ich nie geglaubt hätte“. Sie eignet sich an, was lange Zeit Männern vorbehalten war, und öffnet damit eine der Türen zur weiblichen Souveränität, provoziert damit aber auch wütende (besser: eifersüchtige) Reaktionen und böse (auch eifersüchtige) Blicke (die auszuhalten sind). Beide Texte, sowohl Briest als auch Ernauxs „Der junge Mann“ sind Plädoyers für ein selbstbestimmtes und gleichberechtigtes Leben der Geschlechter. Sie prangern Konventionen an „die Welt ist einmal so wie sie ist“ und werfen althergebrachte Denkweisen über Bord. Während Briest scheitert, hat sich die Frau in Ernauxs „Der junge Mann“ geholt, was sie wollte. Moralische Urteile gehen hier ins Leere, dass sie ihn erträgt, während er ihr Lust bereitet, erscheint ihr als „fairer Handel“. Touché.

Nicole Spiekermann, Christiani Wetter, Georg Melich und André Rohde. <span class="copyright">Ilja Mess</span>
Nicole Spiekermann, Christiani Wetter, Georg Melich und André Rohde. Ilja Mess

Exzellente Gesamtleistung
Die vier Protagonisten des Stücks Nicole Spiekermann, Christiani Wetter, Georg Melich und André Rohde bieten gute zwei Stunden lang eine bemerkenswerte Performance. Besonders Christiani Wetter (die Anne Hathaway des TAK) weiß als Effi Briest zu überzeugen, großartig in den intimen Momenten des Stücks u. a. im Spiel mit Andrè Rohde: „Wünsche liegen meist schon auf der Lippe“. Auch Nicole Spiekermann, als Mama Briest und als Alter Ego Ernauxs ist gut besetzt, allerdings erschließt sich nicht ganz ihr Kostüm, ein blaugraues Sommerkleid aus Tüll, anstatt die Casual Wear einer selbstbestimmten, selbstbewussten Frau, die über all den bösartigen Gaffern und ihren Gehässigkeiten steht.

Die Bühne als schiefe Ebene, als Metapher des Lebens. <span class="copyright">Ilja Mess</span>
Die Bühne als schiefe Ebene, als Metapher des Lebens. Ilja Mess

„Überhaupt ist das ganze Leben ohne Leichtsinn keinen Schuss Pulver wert“, so tönt André Rohde als Major von Crampas, Vater Briest, Sekundant Wüllersdorf etc., manchmal herrlich komödiantisch, verspielt und dennoch unglaublich diszipliniert, speziell in dem ausgefeilten und beeindruckenden Dialog zwischen ihm und Baron von Instetten, der mit Georg Melich bestens besetzt ist. Auch Melich souverän, als Zerrissener („es muss eine Verjährung geben“) und dann wieder als Patriarch und Paradebeamter.

Die Handlung wird von so manch einer Gesangseinlagen der Schauspieler bereichert. <span class="copyright">Ilja Mess</span>
Die Handlung wird von so manch einer Gesangseinlagen der Schauspieler bereichert. Ilja Mess

Nach mir die Sintflut
Die Handlung wird durch einige Gesangseinlagen der Schauspieler bereichert, so zum Beispiel mit Rio Reisers “Junimond” am Anfang und am Ende des Stückes, Bruce Springsteens „I’m On Fire“ oder Vicky Leandros unvergleichliches „Ich liebe das Leben…“ Die Bühne als schiefe Ebene (sic!), als Metapher für das Leben.

Es schneit auch auf der Schaaner Bühne. <span class="copyright">Ilja Mess</span>
Es schneit auch auf der Schaaner Bühne. Ilja Mess

Und endlich wieder einmal Schneefall vom Schürboden! Bezaubernd. Ein Satz noch zu Effi Briest. Theodor Fontane wurde mit diesem Roman zum bedeutendsten Geburtshelfer des deutschen Gesellschaftsromans, der mit dem Erscheinen von Thomas Manns „Buddenbrooks“ (1901) Weltgeltung erlangen sollte. Die Inszenierung von Oliver Vorwerk ist tadellos, vielleicht könnte man ein wenig kürzen. Die Geschichte der beiden so unterschiedlichen Frauen ist fein gesponnen und eindrucksvoll umgesetzt.

"Jetzt tut’s nicht mehr weh … es ist vorbei, Bye, bye". <span class="copyright">Ilja Mess</span>
"Jetzt tut’s nicht mehr weh … es ist vorbei, Bye, bye". Ilja Mess

Wie sagt Effi Briest so treffend: „Mich ekelt was ich getan, was mich aber noch mehr ekelt, ist eure Tugend … Jetzt tut’s nicht mehr weh … es ist vorbei, Bye, bye.“ Langanhaltender Applaus.

Thomas Schiretz

Effi Briest / Der junge Mann

Theodor Fontane und Annie Ernaux

Theater am Kirchplatz

Weitere Vorstellungen: 31.1.,21.2., 7.3.2024, 19.30 Uhr

www.tak.li