Was man nicht erzählen kann …

Uraufführung des Stücks „Stromberger oder Bilder von Allem“ im Vorarlberger Landestheater.
Bregenz Vier Frauen (Isabella Campestrini, Vivienne Causemann, Luca Hass, Rahel Jankowski) treten zu Beginn des Stücks in großen Pappmaschee-Köpfen als Kinder und in Jumpsuits der 1970er-Jahre in verschiedenen Mustern und Farben auf – sie sind es, die in den nächsten 90 Minuten die Bühne von „Stromberger oder Bilder von Allem“ beherrschen.

Harald Walser, Historiker und Germanist hat 2021 ein Buch mit dem Titel „Ein Engel in der Hölle von Auschwitz“ veröffentlicht. Es handelt von der Bregenzer Krankenschwester Maria Stromberger, die sich freiwillig zum Dienst im Konzentrationslager Auschwitz meldete, nachdem sie im Infektionskrankenhaus Königshütte (heute Chorzów in Polen) von zwei Typhuskranken gehört hatte, die sie gesund pflegte.

Diese schrien offenbar im Delirium über die unfassbaren Unmenschlichkeiten im KZ Auschwitz, sodass Stromberger beschloss, die Wahrheit herauszufinden: „Ich will sehen, wie es wirklich ist, vielleicht kann ich auch was Gutes tun. Glaube mir“, gab sie ihrer Schwester zur Antwort und trat am 1. Oktober 1942 in Auschwitz ihren Dienst an.

Bald galt sie den Lagerinsassen als „Engel“ in der „Hölle auf Erden“, nach dem Krieg wurde sie in Polen als „Engel in der Hölle von Auschwitz“ verehrt. Aber nicht in Vorarlberg! 1945 kam Maria Stromberger nach Bregenz und arbeitete als Hilfsarbeiterin in einer Textilfirma, als Krankenschwester konnte sie nicht mehr arbeiten, denn „meinen Reichtum an Liebe habe ich in Auschwitz verstreut“. Sie starb 1957 in Bregenz. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich das Theater dieses Stoffes annahm.

Die Autorin Gerhild Steinbruch, die u.a. an der Universität für angewandte Kunst in Wien lehrt, hat mit „Stromberger oder Bilder von Allem“ ein dichtes, vielschichtiges Werk geschaffen und nähert sich der Figur der Maria Stromberger behutsam, man ist versucht zu sagen „stiefmütterlich“, fast „fahrlässig“, erst nach und nach schält sich die Figur Stromberger aus der unglaublichen Textfülle heraus und nimmt Gestalt an. Steinbruch interessiert sich aber auch für jene, die das System mitgetragen haben, in Vorarlberg vor allem jene aus der Textilbranche, wie etwa der Industrielle Rudolf Hämmerle, Mitglied der SS und schon vor dem Austrofaschismus in die NSDAP eingetreten, der seine Karriere nach 1945 nahtlos fortsetzte und 1962 sogar Nationalratsabgeordneter für die ÖVP wurde.

Über die unmenschlichen Zustände in Auschwitz ist in ihrem Text wenig bis nichts zu erfahren: „Was ich erzählen muss, erzählt sich nicht, was ich erzählen kann, ist erfunden …“. Wie unmöglich irgendwelches Eingreifen war, erschließt sich aus Strombergers Bericht: „Mit allen Mitteln wollte ich den Häftlingen helfen, aber das waren reine Träume meinerseits. Niemand war imstande irgendwie die Dinge aufzuhalten.“

Das Ganze wird mithilfe eines eindrucksvollen Bühnenbildes (Mira König) geschickt umgesetzt, immer wieder werden Fotos von Menschen, Häusern etc. auf die durchlässigen Paravents projiziert und die vier Schauspielerinnen holen dann die einzelnen Personen mit weißen Tüchern (Schürzen) sozusagen als Vergrößerung vor den Vorhang, um näher auf sie einzugehen. Textlich anspruchsvoll, meistern die vier Schauspielerinnen ihre jeweilige Rolle mit Bravour und spielerischer Leichtigkeit.

Assoziationen zu den Nornen aus der nordischen Mythologie drängen sich auf: „Wir sind Nachseherinnen, kontrollieren das Geschichtsgewebe auf Ungereimtheiten … durchtrennen diverse falsche rote Fäden, wir halten uns fest an Geschichten von Widerstand …“
Schlussbild: Im Hintergrund steigt Rauch auf, angestrahlt von einem starken Scheinwerfer, gespenstisch, und die vier singen „we gonna have a party, we go away“, im Off ist die Stimme von Herbert Kickl zu hören: „Die gute Nachricht ist, dass dieser politische Wahnsinn bald vorbei ist …“. Willkommen in der Gegenwart. Eine späte Ehrung an eine einzigartige Frau in der Geschichte des österreichischen Widerstandes. Lang anhaltender Applaus.
Thomas Schiretz
Stromberger oder bilder von allem
Gerhild Steinbuch – Uraufführung
Inszenierung: Bérénice Hebenstreit
Bühne und Kostüm: Mira König
Musik und Bühnenmusiker: Sandro Nicolussi
Licht: Simon Tamerl
Dramaturgie: Michael Isenberg
Mit: Isabella Campestrini, Vivienne Causemann, Luca Hass, Rahel Jankowski
Vorstellungen: Di, 5.3. / Do, 21.3. / Sa, 23.3. / Fr, 5.4. und So, 7.4., 19.30 Uhr, Großes Haus