Wo sich Eutopie und Dystopie treffen

Vier verschiedene Positionen sind zurzeit in der neuen Ausstellung im Künstlerhaus Thurn & Taxis zu sehen.
Wer derzeit das Künstlerhaus Thurn & Taxis in Bregenz betritt, wird im Erdgeschoss von idyllischen Fotos aus dem Familienalbum des Konzept-, Video- und Fotokünstlers Christian Helbock empfangen. Es ist eine atmosphärische Annäherung, in deren Fokus Fotos von seiner Mutter, von ihm selbst, von seiner Schwester, vom Bodenseeufer, eigentlich von der im Bau befindlichen Pipeline (Mitte der 1960er-Jahre) zwischen Genua und Ingolstadt stehen. Auf der Videoleinwand ist eine nächtliche Autofahrt entlang dieser Uferstraße im März 1964 zu sehen, die nicht nur im Leben von Christian Helbock einen Wendepunkt markiert. Es ist eine dystopische Geschichte, die uns Helbock hier buchstäblich auftischt, die aber nur vom Künstler selbst zu erfahren ist, der in den nächsten zwei Wochen vor Ort sein wird (am 28. März, 18.30 Uhr findet im Künstlerhaus dazu „Pipeline. Ein Gespräch über die Vergangenheit“ statt). Ein Mysterium der Irritation und Sprachlosigkeit legt sich wie ein Schatten über die Idylle, wie der Schutt, der über die dicken Rohre der Ölpipeline gekippt wurde, als diese 1967 entlang des Bregenzer Seeufers in die Tiefe versenkt wurden.

Die Schweizer Künstlerinnen Jeanette Frei (aufgewachsen in Vorarlberg) und Claudia Keel bespielen mit ihren teils großformatigen Arbeiten das Ober- bzw. das Dachgeschoss des Künstlerhauses. Es sind dies durchwegs Ölmalereien, die im Dialog präsentiert werden. Abstraktes und figürliches wird alternierend gehängt; menschliche Figuren meist flächig und abstrakte Sujets verinnerlichen die Essenz des Fließenden, eine pralle Farbpalette, Rot, Blau, Gelb, Grün, eine unglaublich intuitive Malweise, den Arbeiten haftet durchwegs ein inneres Leuchten an, die Strahlkraft der Farben und ihrer teils gegenständlichen Sujets spielen im Werk der beiden eine übergeordnete Rolle, fauvistische Malerei drängt sich auf, die unbändige Lust am Malen wird spürbar.

Ob man nun in einen verwunschenen „Garten“ von Claudia Keel blickt, der in zartem Violett, Grün und Schwarz koloriert ist, oder in die prallen Gouachearbeiten, die von Emotionen und Farbe aufgeladene Serie „As Time Goes By – Moonlight and lovesongs never out of date“ von Jeannette Frei. Vielversprechende Ein- und Ausblicke. Der Sommer kann kommen!

Im Kellergeschoss sind zwölf Einzelpositionen und die Kollektivarbeit „Transient Details“ (2024) von Juan Blanco, Fernanda Braun Santos, Letizia Aurora Calasso, Malin Dorn, Julia Dolipski, Mateusz Dworczyk, Bernhard Garnincnig, Laura González Barrera, Géraldine Honauer, Ramona Kortyka, Laura Leppert, Moritz Piehl, Jennifer Merlyn Scherler. Malin Dorns Arbeit „Way down below the ocean, where I wanna be” (2024) erzählt in humorvollen Erzählungen teils düstere Geschichten und nimmt den Betrachter mit auf einen Flug über Insellandschaften (von Alcatraz bis zur Isla Robinson Crusoe). Ein Spannungsfeld zwischen Eutopie und Dystopie tut sich auf. Oder Jennifer Scherlers „The Moon Would Fix Me“ (2024), in dem die „Space Bros“ Elon Musk und Jeff Bezos zu „Sad Girls“ werden, auf der Suche nach einer neuen Form der Emotionalisierung durch Weltraumtourismus. Dem Normalverbraucher bleibt nur die „Moon Pose“ gegenüber den Weltraum-Allmachtsfantasien der Superreichen.

Viel Humor und Doppelbödigkeit können hier herausgelesen werden. Das von dem Künstlerkollektiv vor einem halben Jahr begonnene Seminar zum Thema „Reisen & Tourismus“ wurde exklusiv für die Ausstellung im Künstlerhaus entwickelt.
Thomas Schiretz
Künstlerhaus Palais Thurn & Taxis
Zur Zeit memeclassworldwide „Are you happy to be in Paris?”
Jeannette Frei und Claudia Keel „Die Blumen, die Nacht und die Liebe“
„ … im Erdgeschoss“ Christian Helbock: Pipeline. Die Gewalt des Zusammenhangs“
28.03.2024 „Pipeline. Ein Gespräch über die Vergangenheit“ Christian Helbock und Thomas Schiretz.
Bis 24. April