Kušejs Menschenfeind zwischen Klassik und Moderne

Kultur / 01.04.2024 • 15:44 Uhr
Der Menschenfeind
Martin Kušejs „Der Menschenfeind“ ist eine anregende Interpretation des klassischen Textes von Molière. Matthias Horn

Das Wiener Burgtheater zu Gast im Bregenzer Festspielhaus.

Bregenz Auf Einladung der Bregenzer Festspiele gastierte am Osterwochenende das Wiener Burgtheater mit einer aufsehenerregenden Inszenierung von Molières „Der Menschenfeind“ im Bregenzer Festspielhaus. Unter der Regie des scheidenden Burgtheaterdirektors Martin Kušej wurde das Publikum in eine Welt entführt, die trotz ihrer historischen Verwurzelung im 17. Jahrhundert überraschend aktuell wirkte.

Der Menschenfeind
Mavie Hörbigers als Célimène gemeinsam mit Itay Tiran, der den Alceste darstellt. Matthias Horn

Kušejs Sicht auf Molières Klassiker, verstärkt durch die deutsche Übersetzung von Hans Magnus Enzensberger aus dem Jahr 1979, verwandelte das Stück in eine scharfe Satire auf die moderne Spaßgesellschaft und ihre politischen und sozialen Auswüchse. Enzensbergers „Menschenfeind“ ist voller Wortwitz und trotz der traditionellen Reim- und Versform leicht verständlich.

Der Menschenfeind
Die Inszenierung nutzt geschickt das Motiv der wandelbaren Glaswände im Bühnenbild. Matthias Horn

Das zentrale Thema des Stücks – die Spannung zwischen der Scheinheiligkeit der Gesellschaft und Alcestes Ideal absoluter Wahrhaftigkeit – wird gekonnt in die Gegenwart übertragen. Alceste, dargestellt von Itay Tiran, verkörpert diese Spannung mit einer Mischung aus Verachtung für die Scheinheiligkeit der Gesellschaft und naiver Verzweiflung an der Möglichkeit wahrer Integrität. Dieser Konflikt zwischen Ideal und Wirklichkeit spiegelt sich nicht nur in Tirans nuancierter Darstellung, sondern auch im Bühnenbild von Martin Zehetgruber, das die Wiener Gesellschaft buchstäblich und metaphorisch als prunkvollen, aber verrotteten Spiegelraum darstellt.

Der Menschenfeind
Die Doppelzüngigkeit und der Opportunismus wird gnadenlos entlarvt. Matthias Horn

Die Integration aktueller Bezüge zur österreichischen Politik und Gesellschaft in das Stück erhöht die Relevanz für das heutige Publikum beträchtlich. Kušej verwendet Molières Text als Grundlage, um die Doppelzüngigkeit und den Opportunismus zu entlarven, welche die menschliche Natur damals wie heute prägen. In dieser modernen Interpretation wird deutlich, dass der Schein oft mehr zählt als die Wirklichkeit dahinter. Besonders hervorzuheben ist die kreative Leistung der Parfumdesigner Marie und Alexander Urban, die mit “Le Misanthrope à la ferme” einen Duft geschaffen haben, der sowohl den Glanz als auch die Fäulnis dieser Welt einfängt und damit eine besonders tiefe Dimension hinzufügt.

Der Menschenfeind
Kušej verwandelte das Stück in eine scharfe zeitgenössische Satire. Matthias Horn

Mavie Hörbigers Darstellung der Célimène ist ein weiterer Höhepunkt des Abends. Ihr Charisma und ihre Fähigkeit, die komplexe Natur ihrer Figur zu navigieren, bringen eine Dynamik auf die Bühne, die Alcestes moralische Strenge herausfordert. Die Kostüme von Heide Kastler, vor allem Hörbigers glitzerndes Paillettenkostüm, symbolisieren zusätzlich den glitzernden, oberflächlichen Reiz der Gesellschaft, den Alceste so verabscheut.

Der Menschenfeind
Die Spannung zwischen der Scheinheiligkeit der Gesellschaft und Alcestes Ideal absoluter Wahrhaftigkeit wird gekonnt in die Gegenwart übertragen. Matthias Horn

Die Inszenierung nutzt geschickt das Motiv der wandelbaren Glaswände im Bühnenbild, um mit der Vorstellung von Authentizität versus Fassade zu spielen. Diese gestalterische Entscheidung erzeugt nicht nur visuell beeindruckende Effekte, sondern unterstreicht auch das zentrale Anliegen des Werkes: die Herausforderung, in einer Welt voller Maskeraden und Täuschungen Authentizität zu bewahren. Die Tänze der Statisten, die in den kurzen Pausen zwischen den Akten hinter diesen Glaswänden zu wechselnder Musik aufgeführt wurden, unterstreichen die allgegenwärtige Diskrepanz zwischen öffentlicher Darstellung und privater Wahrhaftigkeit.

Der Menschenfeind
Die Integration aktueller Bezüge zur österreichischen Politik und Gesellschaft in das Stück erhöht die Relevanz noch. Matthias Horn

Kušejs „Der Menschenfeind“ ist somit eine durchaus witzige und anregende Interpretation eines klassischen Textes, die den Zuschauer zum Nachdenken über tief verwurzelte menschliche Neigungen zu Heuchelei, Selbsttäuschung und Oberflächlichkeit einlädt. Durch die geschickte Verbindung von historischem Text und moderner Inszenierung gelingt es dieser Produktion, zeitlos und doch zutiefst aktuell zu sein. Sie hinterlässt beim Publikum nicht nur einen bleibenden Eindruck von der Aufführung selbst, sondern auch eine nachhaltige Reflexion über das Wesen unseres eigenen sozialen Verhaltens und die Suche nach Wahrheit in unserer Welt.