“Beweg deinen Arsch und mach was!”

Kultur / 15.04.2024 • 17:05 Uhr
Rebecca Hammermüller in der One-Woman-Show "Bitch Boxer". Foto: Anja Köhler

“Bitch Boxer” feierte Premiere am Freitag im Vorarlberger Landestheater.

Bregenz Ausgesperrt vor der Haustür, blank bis auf die Boxershorts und ein Schlafshirt. Wem ist das schon einmal nicht passiert? Rebecca Hammermüller versetzt die Zuschauer als Chloe Jackson mit dem szenischen Einstieg sofort in das Geschehen. In Leytonstone, einem Vorort von London, versucht sie über zig Zäune in Parkour-Akrobatik zum Fenster zu kommen. Dabei erleidet sie einige Schürfwunden. Den Humor verliert sie jedoch nicht. Das Gelächter des Publikums ist seit der ersten Minute zu hören. Das hätte man sich bei der deutschsprachigen Erstaufführung von “Bitch Boxer”, inszeniert von Michael S. Wilhelmer, nicht erwartet. Eigentlich erzählt das Stück von Josephine Charlie eine Geschichte, die von Schicksalsschlägen geprägt ist.

Hammermüller hat einen direkt in den Bann gezogen. Foto: Anja Köhler

Die One-Man-Show oder besser gesagt One-Woman-Show hält einen eine ganze Stunde auf Trab. Keine Zeit zum Durchschnaufen – so geht es nicht nur Rebecca Hammermüller, sondern auch den Zuschauern. Die Schauspielerin spielt Chloe nicht nur scharfsinnig, sondern mit einer ausgesprochenen Überzeugung, sodass man ihr jedes Wort, das ihr über die Lippen geht, abkauft. Die Mimik sowie Gestik sitzen wie die Faust aufs Auge.

Auch Konfetti kamen zum Einsatz. Foto: Anja Köhler

Die 21-jährige Chloe boxt, seit sie elf Jahre ist. Seit ihre Mutter sie und ihren Vater stehen gelassen hat. Als Chloe an dem Morgen, an dem sie sich zuerst ausgesperrt hat, es trotzdem pünktlich ins Boxstudio schafft, bricht ihre Welt zusammen: Ihr Vater ist gestorben. Das Licht wechselt jetzt von einem warmen in einen kühlen Ton. “Ich hasse scheiß Beerdigungen. Dad hat nie Blumen gekauft, wieso bekommt er jetzt welche”, sagt sie. “Er bekommt mehr Blumen als scheiß Diana.” Chloe verdrängt den Tod ihres Vaters, denn eine Kämpferin muss immer stark bleiben. Zudem verspottet sie die gestriegelten Leute in der Kirche, die weinen. Denn sie kann nicht weinen. “Nicht mal eine scheiß Träne.”

"Beweg deinen Arsch und mach was!"
Rebecca Hammermüller hat die Rolle mit Überzeugung gespielt. anja köhler

Als sie wieder im Training steht, werden Audiosegmente abgespielt, mit der Konversation zwischen ihr und ihrem Trainer Len. Zwischendurch schwärmt sie stets von ihrem Freund Jamie. Dazu bewegt Hammermüller nicht nur die Drehscheibe, sondern auch das Sofa, welches sich auf dieser befindet. Bühnenbildnerin Marina Deronja hat das Thema wortwörtlich beim Namen genommen und hat das Sofa in einen überdimensionalen Boxhandschuh verwandelt. Das Requisit findet auf jeder Seite Stabilität, egal ob aufrecht als Boxhandschuh, waagerecht als Sofa oder in der seitlichen Lage, sodass Hammermüller zum Retro-Mikrofon greifen kann. Dieses hängt von der Decke ab. Kurz liefert sie ebenfalls eine Gesangsperformance. Chloe Jackson hat keine Zeit, um ihre Trauer zu verarbeiten, das ist eher ein Fremdwort. Sie beißt sich weiter ins Training. “Beweg deinen Arsch und mach was!”

Trotz Schicksalsschlag beißt sich Chloe weiter durch. Foto: Anja Köhler

Während sie ihren ewigen Monolog vorträgt, wickelt sich Hammermüller die Bandagen um die Hände. Dann zieht sie ihre Jacke, Schuhe und Socken aus. Der entscheidende Kampf findet statt. Dynamisch schildert sie die Situation. Rauschen wie im Ring, Glocken ertönen. Körperkontakt, Aufwärtshaken. Die Gegnerin ist stark, Chloe geht fast K.O.: “Ich bin am Arsch! Was mache ich, Dad?” Als sie die Stimme ihres Vaters hört, die eingespielt wird von der Technik, rafft sie sich auf und gewinnt den Kampf. Sie ist bei den Olympischen Spielen dabei, zum ersten Mal als Frauen antreten dürfen. Und sie weint. Das Licht wird immer dunkler, bis es komplett Schwarz in der Box wird.

"Beweg deinen Arsch und mach was!"
Chloe bereitet sich bei dieser Szene auf den Kampf vor. anja köhler

Rebecca Hammermüller, hat es geschafft, die Zuschauer mit einer Leichtigkeit durch die Sprünge von Vergangenheit und Gegenwart zu führen. Auf ihrer Reise zum Erwachsenwerden, mit Angst und Verlust, musste man dennoch gelegentlich schmunzeln. Denn durch die Umgangssprache und Szenen, die vielen aus eigener Erfahrung bekannt vorkommen dürften, wurde das Stück viel greifbarer. So greifbar, dass man sich am Ende die Träne verdrücken muss. Die Premiere von “Bitch Boxer” am Freitag im Vorarlberger Landestheater war ein erfolgreicher und intensiver Monolog.

"Beweg deinen Arsch und mach was!"
Doronja hat das Bühnenbild gut getroffen. anja köhler
"Beweg deinen Arsch und mach was!"
Die Schauspielerin überzeugte mit Mimik und Gestik. anja köhler