Musik und Verbrechen auf einer Bühne

Unter dem Titel „Die dunkle Seite“ präsentierte das Concerto Stella Matutina unter der musikalischen Leitung von Thomas Platzgummer ein außergewöhnliches Abo-Konzert.
Götzis Würden Sie die berühmtesten Morde der Musikgeschichte erraten? Da wären Orpheus, möglicherweise Wolfgang A. Mozart und John Lennon zu nennen. Aber es gibt auch eine „dunkle Seite“ bei einigen Komponisten der Musikgeschichte. Nicht alle Komponisten, deren Werke am Freitagabend präsentiert wurden, sind Mörder wie z. B. Carlo Gesualdo, der der Nachwelt für den inszenierten Mord an seiner Frau Maria d’Avalos im Gedächtnis geblieben ist. Einige von ihnen wie Johann Sebastian Bach kamen wegen anderen Delikten mit dem Gesetz in Konflikt. Um diese „dunkle Seite“ mancher Komponisten zu durchleuchten, wurde kein Geringerer als Vorarlbergs Vorzeige-Psychiater und Gerichtsgutachter Reinhard Haller geladen. Mit seiner gewohnt nonchalanten Art referierte er zwischen den dargebotenen Musikwerken über das Böse. Eine perfekte Symbiose! Auf die Frage, ob jeder Mensch zum Mörder werden kann, antwortete Haller mit „Nein“. „Jeder Mensch kann zum Töter werden, aber nicht zum Mörder. Ein Mord ist immer geplant. Das Böse ist in jedem Menschen vorhanden. Das Böse ist die Abwesenheit von Empathie; und das Böse kann nicht definiert werden, in jedem Menschen gibt es das Böse, wie es auch das Gute gibt.“

Das heute weltweit jährlich noch mehr als zehntausend Ehrenmorde geschehen, ließ aufhorchen sowie die Tatsache, dass in Frankreich noch bis ins Jahr 1961 die Todesstrafe auf Suizid stand und auch die Geschichte mit der Frau, die ihren Mann umbrachte, Haller war der zuständige Gerichtsgutachter, der Ermordete hörte Tag und Nacht in Überlautstärke „Spiel mir das Lied vom Tod“. Dass Morde vielfach nicht in einem abgelegenen Waldstück oder in dunklen Seitengässchen geschehen, ist mittlerweile bekannt. „Wenn Sie einem Mord auskommen wollen, dann dürfen Sie nicht nach Hause gehen“, so Haller. Die meisten Morde passieren dort und werden vom Ehemann, der Ehefrau bzw. den nächsten Verwandten verübt.

Es war eine reine Freude der ausgezeichneten Muszierlust- und Qualität des Ensembles zuzuhören. Unglaublich gut aufeinander abgestimmt, allesamt. Ein vielbeschäftigter Mann des Abends war der bestens disponierte Perkussionist Heiko Kleber, großartig, auch die beiden „dueling“ Bratschisten Lucas Schurig-Breuß und Wolfram Fortin in Bachs Brandenburgischem Konzert Nr. 6, die Gambenspieler Heidi Gröger und Martin Jantzen und Cellist Thomas Platzgummer sowie die Trompeter Bernhard Lampert und Herbert Walser-Breuß.

Ein Stück des Abends sei noch hervorgehoben, da es eigentlich so gut wie nie gespielt wird. Es ist von Ignaz Josef Pleyel, einem niederösterreichischen Komponisten, der in Straßburg lebte und die französische Staatsbürgerschaft annahm. Er wurde als Royalist denunziert und nicht weniger als sieben Mal arretiert. Um im wahrsten Sinn des Wortes seinen Kopf vor der Guillotine zu retten, komponierte er unter Aufsicht von republikanischen Gendarmen die Revolutionshymne „La Révolution du 10 Août ou le Tosquin allégorique“, 1790. Ein spannungsgeladenes Werk, das uns mehr über die Revolution erzählt, als so manches Geschichtsbuch.

Wie Haller abschließend anerkennend feststellte, leistet das Concerto Stella Matutina einen unglaublich wertvollen Beitrag im Kampf gegen das Böse, und spricht damit auf den kathartischen Effekt der Musik an, indem er den Philosophen Kierkegaard zitiert: „Ich kenne keinen Kummer, den man nicht wegspielen/weggehen kann“.
Das begeisterte Publikum wurde mit einer feinen Zugabe der Sinfonia von Leonardo Vinci (nicht da Vinci) in die Nacht, nach Hause, dort, wo ja laut Haller die meisten Morde passieren, entlassen. THS