Wo man mit Kunsthunden spazieren gehen kann

Kultur / 02.06.2024 • 15:10 Uhr
Ausstellung Galerie 9und20 Elsbeth Gisinger Fessler
Blick in die Ausstellung in der Galerie 9und20. THS

Künstlerin Elsbeth Gisinger_Fessler stellt in der Galerie 9und20 in Bregenz aus.

Bregenz Es ist ein sehr komplexes Thema, dem sich die Künstlerin, Mitglied der Berufsvereinigung Bildender Künstlerinnen und Künstler Vorarlbergs und langjährige Kunsterzieherin u. a. im Gymnasium Marienberg, auf gut 300 Quadratmetern Ausstellungsfläche in der Galerie 9und20 in Bregenz annähert. Unter dem Titel „Walk a Dog“ stellt Gisinger_Fessler ganz unterschiedlich gestaltete Plastiken aus Polyurethan, Fiberglas und Autolack aus, wie auch Digitalprints oder sogenannte Freeloader- bzw. Schmarotzerobjekte. Die Aufforderung „take a dog for a walk“ soll dem Besucher die Möglichkeit bieten, Kunst bzw. „Kunsthunde“ durch die Ausstellungsräumlichkeiten auf drei verschiedenen Ebenen zu führen und so selbst mit Objekt und Raum in Beziehung zu treten.

Ausstellung Galerie 9und20 Elsbeth Gisinger Fessler
Die Künstlerin mit einem ihrer dogs an der Leine. THS

Die Künstlerin beschäftigt sich schon eine geraume Zeit mit dem Werk des französischen Phänomenologen Merleau-Ponty (Zusammenhang von Dasein und Welt) und im Speziellen mit der Lektüre der Feministin, Naturwissenschaftshistorikerin und Frauenforscherin Donna Haraway, für Gisinger_Fessler „die Dadaistin der Philosophinnen“; dabei vor allem mit dem Buch „Das Manifest für Gefährten: Wenn Spezies sich begegnen – Hunde, Menschen und signifikante Andersartigkeit (2016).

Haraway stellt unter anderem die Hypothese auf, dass wir, um auf der Erde überleben zu können, andere Formen der Verwandtschaft brauchen. Stephen Hawking war der Meinung, dass Empathie für das Überleben der Menschheit das Entscheidende sei, denn alles andere können Computer bereits besser als wir. Tatsächlich sind Logarithmen (noch nicht) zur Liebe fähig, die aber Voraussetzung ist, um sich in einen anderen einfühlen zu können. Aber dazu hat Gisinger_Fessler ihre Kunst, die sich leichtfüßig in unsere Amygdala einschleicht, jenem Gehirnbereich, der als Ort unserer Gefühlsverarbeitung gilt. Liebe, Sehnsucht, Schönheit, Hässlichkeit, Wut … konnten mittels neuester bildgebender Techniken schon 2006 von Raymond Joseph Dolan (University College in London) sichtbar gemacht werden und weisen eine frappierende Ähnlichkeit mit dem einen oder anderen Objekt von Gisinger_Fessler auf. Weich und organisch muten ihre Plastiken an, hochglanzpoliert, hängen sie in und auf Halterungen aus Eisen. Ihre „dogs“ sind in den Ausstellungsräumlichkeiten verteilt und warten nur auf ihren besten Freund, um mit ihnen den Kunstparcours zu starten.

Ausstellung Galerie 9und20 Elsbeth Gisinger Fessler
Die Digitalprints „CRYAA Human, CRYAA Canis Lupus“ (2023). THs

Eine weitere Ähnlichkeit findet sich auch in der Darstellung der vom Biochemiker Peter Jungblut vom Max-Planck-Institut erstellten wissenschaftlichen Vergleiche von Primär und Tertiärstrukturen von Proteinen u. a. zwischen Hund und Mensch und dabei ist festzuhalten, dass es bei manchen Genen eine 100-prozentige Übereinstimmung gibt, wie uns eindrücklich ihre Digitalprints „CRYAA Human, CRYAA Canis Lupus“ (2023) zeigen. Wie tierisch sind wir, wie menschlich sind die Tiere? Jedes Objekt der Künstlerin hat eine Genbezeichnung, aber sie hat sich dazu entschlossen, ihre Arbeiten mit Verben zu betiteln: „in Erwartung sein“, „beschwingt sein“, “faulenzen“, “unbeschwert sein“, “zurückweichen“, „berühren“, getreu nach dem Philosophen Georges Didi-Huberman, der meinte, dass man „vor den Bildern Verben verwenden müsse, die beschreiben, was sie tun, was sie mit uns tun, und nicht nur Adjektive oder Substantive, die vorgeben, sagen zu können, was sie sind“.

Des Pudels Kern: was tun die Objekte mit uns tun? Gisinger_Fessler macht mit ihrer Kunst Unternehmungen möglich, die die wenigsten von uns in unserem Alltag alleine so erschaffen könnten. Als wollte sie die Welt ihres abgründigen Ernstes berauben und ihr jene Leichtigkeit zurückgeben, die sie immer schon in sich trug. Man hat das Gefühl, wie durch ein Fenster auf etwas zu blicken, in dem die Dissonanzen dieser Welt in einer Harmonie, in einer gelassenen Ernstheiterkeit zerschmelzen. Sie führt uns Destillate vor, die dichter, die kompromissloser, aber auch ätherischer und ästhetischer nicht sein können. Ihre Werke vermitteln Fermaten, Pausen, sie scheinen die Zeit stillstehen zu lassen, lassen ausschwingen, befreien genüsslich von alten und neuen Mythen und vermitteln ein nahezu unbeschreibliches Zeitgefühl – „geronnene Zeit“.

Galerie 9und20

Elsbeth Gisinger_Fessler

“Walk a Dog”

bis 21. Juni 2024

www.galerie9und20.at