No Limits – es geht ums Ganze

Das FLATZ Museum in Dornbirn präsentiert zwei bemerkenswerte Ausstellungen von historischem Wert.
Dornbirn „Am Anfang war das Wort … und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns…“ so lehrt uns das Johannesevangelium. Neuer Versuch. Zurück zum Start. „Am Anfang war die Schuld und die Schuld ist Fleisch geworden …“. Vielleicht wäre dies eine adäquate Übersetzung der Performance des Aktionskünstlers FLATZ, die dieser 2010 im Kunstraum Innsbruck unter größten physischen und psychischen Anstrengungen im wahrsten Sinne des Wortes „vollzog“.

Unter dem Titel „Schuldig – Nicht Schuldig“ unterwarf er sich der Prozedur eines soeben eingewiesenen Häftlings in eine Strafanstalt. Zuerst wurde er geschoren, dann entledigte er sich seiner Sträflingskleidung mit der Häftlingsnummer 491952, wurde mit Handschellen hinterrücks gefesselt, und während er die nächsten zwei Stunden seine Stirn, die zunehmend blutiger wurde, gegen vier, in den Ecken des Raumes angebrachte Stahlplatten schlug, wurden abwechselnd die Wörter „schuldig“ und „nicht schuldig“ gesprochen.

Das anwesende Publikum war gespalten. Die einen wollten FLATZ von seinem Tun abhalten, die anderen sahen mit gemischten Gefühlen zu oder verließen bestürzt den Saal. Die Reaktion war eine Flut von Leserbriefen, u.a. an die Vorarlberger Nachrichten. FLATZ ging es, um es auf den kleinsten Nenner zu bringen, um den Umgang mit Betroffenheit und um die Frage der Mitschuld. Und, um es einfach und radikal zu sagen: ums Ganze! In der Kunst, in der „wahren“ Kunst, geht es immer ums Ganze, um nichts weniger. Ob bei der Laokoon-Gruppe, bei Michelangelo, bei Picasso, bei Rothko oder Bacon. Alles andere ist Makulatur. Das hat uns Ilse Aberer schon einmal durch eine ihrer wunderbaren Arbeiten „gesteckt“. Dieser historischen, ja legendären Performance „Schuldig – Nicht Schuldig“ wird mittels großformatigen Fotos und eines Videos gedacht, sozusagen als Hommage an FLATZ, auch hinsichtlich 15 Jahre FLATZ Museum|Zentrum für Photographie.

Die zweite Ausstellung „No Limits|Körper, Performance & Photographie“ präsentiert exemplarische Arbeiten (Fotografien) von Kunstschwergewichten wie Günter Brus, Gina Pane, Marina Abramović, Jürgen Klauke und VALIE EXPORT. Kein Parforceritt, wie bei FLATZ, ein vergnüglicher Spaziergang durch, vereinfacht gesagt, 50 Jahre Körperkunst, wenn auch aus ganz unterschiedlichen Perspektiven. Während Abramovićs Arbeiten radikal ihren Körper befragen, wird bei Brus der/sein Körper zum politischen Instrument, eine gesellschaftspolitische Position des Körpers. Gina Pane untersucht die Verwundbarkeit und Verletzbarkeit des weiblichen Körpers, die weibliche Identität. Jürgen Klauke inszeniert sich als „Transformer“, spielt mit normierten Genderidentitäten. VALIE EXPORT hingegen stellt die Frage des „Körper-Raum-Architektur“ – Verhältnisses, die einzelnen Segmente vermengen sich zu einem Gesamtkörper. Kurator Gerald Matt hat die Arbeiten sehr gewählt ausgesucht, „Arbeiten, von großer Relevanz, repräsentativ für die Zeit, in der sie entstanden sind.“ Kompliment.
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Die Entscheidung im FLATZ Museum nun zwei voneinander unabhängige Ausstellungsräume zu schaffen, ist zu begrüßen. „Das Museum zeigt nun, was es kann“, wie es Kulturamtsleiter Roland Jörg formuliert, „es wird aber nach wie vor das FLATZ Museum bleiben, wir werden in den und mit dem Stadtraum diffundieren“. Darauf kann man schon sehr gespannt sein.
Thomas Schiretz
FLATZ Museum|Zentrum für Photographie
„Schuldig – Nicht Schuldig“ von FLATZ
NO LIMITS Körper, Performance und Photographie
Eröffnung: bis 12.10.2024
www.flatzmuseum.at