Die Passion des Matthew Shepard

Kultur / 16.06.2024 • 12:34 Uhr
Vocale Neuburg Kulturbühne Ambach
Das Vocale Neuburg mit dem Instrumentalensemble und dem Leiter Oskar Egle. TSH

Der Kammerchor Vocale Neuburg präsentierte die österreichische Erstaufführung des Musical-Oratoriums „Considering Matthew Shepard“ in der Kulturbühne AmBach.

Götzis Schon einmal was von Matthew Shepard gehört? Matthew wer? 1998 erschütterte ein abscheuliches Verbrechen die Welt: Der 22-jährige Student Matthew Wayne Shepard wurde gefoltert, in einer einsamen ländlichen Gegend von Laramie in Wyoming mit Schnürsenkel an einen Zaunpfahl gebunden und auf brutale Weise mit einem .357-Magnum Revolver erschlagen. Shepard wurde ermordet, weil er schwul war. Parallelen zum 1975 verübten Mord am genialen Filmemacher Pier Paolo Pasolini drängen sich auf, ein Mord, der bis heute noch nicht restlos aufgeklärt ist.

20 Jahre nach der Tat an Shepard brachte der amerikanische Komponist Craig Hella Johnson ein abendfüllendes Musical-Oratorium, das 2016 in den USA uraufgeführt wurde, auf die Bühne. Dem charismatischen, einfühlsamen und äußerst professionellen Leiter des Kammerchores Vocale Neuburg, Oskar Egle, ist es hoch anzurechnen, dass dieses Oratorium nun den Weg erstmals auf eine österreichische Bühne fand.

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Die Solistinnen Eva-Maria Heinzle, Anjulie Hartrampf und Anna Warzinek sowie Clemens Morgenthaler.

Es war ein Kraftakt erster Güte, vor allem aufgrund der ein-, sechs-, acht-, ja sogar zwölfstimmigen Stellen, die der Chor zu bewältigen hatte. Eine weitere Herausforderung war die collagenartige musikalische (auch textliche) Komposition des Oratoriums, unglaublich vielfältig präsentiert sich das Werk, angefangen bei Johann Sebastians Bachs erstem Präludium aus „Das wohltemperierte Klavier“, über Bezüge zur „Johannespassion“ von dem bereits genannten, über Gospel, Spiritual, Jazz, Blues, Rock, Soul und Countr – ein musikalisches Kaleidoskop quer durch die nicht nur amerikanische Musikgeschichte.

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Es war ein Kraftakt erster Güte, vor allem aufgrund der ein-, sechs-, acht-, ja sogar zwölfstimmigen Stellen, die der Chor zu bewältigen hatte.

Johnsons Komposition lässt keinen Zweifel offen, die Grundstruktur ist sehr stark an die Passionsmusiken (Johannes- und Matthäus-Passion) von Bach angelehnt. Aber das tut dem Werk keinen Abbruch, im Gegenteil. Johnson versteht es meisterhaft dieses „Patchwork“ in eine starke, aufwühlende und gleichsam einfühlsame Komposition zu gießen. Oskar Egle und seinem Kammerchor gelang mit Unterstützung von ausgezeichneten Solistinnen und Solisten wie der souligen, bluesigen, rockigen Larissa Schwärzler, den großartigen Sängern David Lins und Clemens Morgenthaler sowie einem tollen Instrumentalensemble (u. a. Perkussionist Mathias Schmidt, Klarinettist Martin Schelling, Pianistin Maria Pilar Pereira) eine Aufführung, die nicht zu toppen ist.

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Die stimmgewaltige Larissa Schwärler.

Das Leid, der Schmerz, die Folter, der Tod, die Trauer, aber auch die Vergebung, die Schönheit des weiten, ruralen Wyoming, die Matthew Shepard so geliebt hat, die Dankbarkeit eines wunderbaren, aber kurzen Lebens, fanden ihren Niederschlag in wundschönen Liedern wie „Where, O where has the innocence gone?“, oder auch „Gently Rest“ und dann „Cattle, Horses, Sky and Grass“: „Yoodle – ooh, yoodle-ooh-hoo, so sings a lone cowboy, who with the wild roses wants you to be free.“

Die Vogelscheuche und das Reh

Shepard wurde 18 Stunden nach der Tat von zwei Radfahrern entdeckt, die ihn anfangs für eine Vogelscheuche gehalten hatten. Melissa Etheridge schrieb daraufhin den Song „Scarecrow“, die Band Thursday widmete Shepard das Lied „M. Shepard“ und Elton John komponierte zum Gedenken an Shepard das Lied „American Triangle“ sowie zwei Filme wurden über diese Geschichte gedreht und ein Theaterstück „The Laramie Project“ geschrieben.

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Der Komponist Craig Hella Johnson schickte eine Videobotschaft.

Als der Deputy von Laramie den am Zaun gefesselten und bewusstlosen Shepard fand, sah er in einiger Entfernung ein großes Reh bei Matthew Shepard stehen und es schien ihm, dass dieses Reh die ganze Nacht bei Matthew geblieben und ihm in seiner größten Not beigestanden ist. Sechs Tage darauf verstarb Shepard, er erwachte nicht mehr aus seiner Bewusstlosigkeit. Die beiden Mörder wurden zu zwei Mal lebenslänglich, ohne Möglichkeit auf vorzeitige Entlassung, verurteilt. Matthew Shepard lebt in diesem, genial von Egle und dem Kammerchor Vocale Neuburg umgesetzten Oratorium weiter. For ever! Lang anhaltender Applaus. THS