Fray fasziniert, Grahl verpasst Chance

Romantische Klaviermusik und einförmige „Winterreise“.
Schwarzenberg David Fray betrat am Dienstagnachmittag den Angelika-Kauffmann-Saal, setzte sich auf einen Stuhl mit Lehne, wischte die Tasten mit einem weißen Tuch ab und begann konzentriert zu spielen. Fray, der für sein tiefes musikalisches Verständnis und seine unkonventionelle Spielweise bekannt ist, präsentierte ein Programm, das die Vielfalt der romantischen Klaviermusik aufzeigte.

Den ersten Teil des Konzerts widmete er den „Sechs Moments musicaux, D 780“ von Franz Schubert. Mit Hingabe und Präzision interpretierte er jedes der sechs Stücke, wobei besonders das lyrisch sanfte erste Stück und das nachdenkliche Moderato in cis-Moll hervorstachen und die Zuhörer in ihren Bann zogen. Die zweite Hälfte begann mit Schuberts “Allegretto c-Moll”, ein Werk, das Fray mit viel Gefühl und melancholischer Tiefe interpretierte.

Auch Schumanns „Kreisleriana, op. 16“ fand unter seinen Händen eine faszinierende Umsetzung. Das leidenschaftliche Eröffnungsstück und der intensive siebte Satz begeisterten durch emotionale Tiefe und technische Brillanz. Frays Interpretationen zeichneten sich durch eine außergewöhnliche Verbindung von technischer Perfektion und tief empfundener Emotionalität aus. Er bewies einmal mehr, dass er sowohl ein virtuoser als auch ein nachdenklicher Musiker ist.
Abendkonzert mit Patrick Grahl
Eine tolle Stimme allein macht noch keine gelungene „Winterreise“, wie sie sich das von weither angereiste Fachpublikum beim internationalen Liederfestival „Schubertiade“ nun einmal erwarten darf. Der gefragte Zyklus wurde diesmal zur verschenkten Chance, weil dabei Wesentliches an notwendiger Gestaltung fehlt.

Klar, der smart wirkende Sänger verfügt über eine helle, schlanke Traumstimme, die er gekonnt durch alle Register führt, antiseptisch sauber und intonationssicher bis in höchste Lagen. Auch seine Diktion ist makellos, seine Pianokultur bewundernswert. Und trotzdem erscheinen einem die sonst so spannenden 70 Minuten dieser „Winterreise“ diesmal endlos lang und spannungsarm. Weil der Künstler bei so bekanntem Repertoire nicht von den Noten wegkommt und sich auswendig zu singen getraut, dabei nicht daran denkt, die zunehmend gefühlsbetonten Lieder entsprechend ihrem Inhalt und ihrer genialen musikalischen Ausgestaltung auch aufzurauen, etwas hemdsärmeliger zu hinterfragen.

Mit solcher Einförmigkeit versäumt er auch, seine Zuhörer mitzunehmen auf diese emotionale Reise durch die zerklüfteten existenziellen Seelenlandschaften des Wanderers, der nach enttäuschter Liebe nur noch den Tod vor Augen hat. Der Wegweiser zeigt ihm die Straße, die er gehen muss und „die noch keiner ging zurück“. Doch anstelle erwartbarer Erschütterung über das Schicksal des Wanderers stellt sich beim Zuhörer nur noch Mitleid mit dem Sänger ein, dessen erfolgloses Bemühen in Schönheit erstarrt.

Man glaubt es gerne, dass Patrick Grahl im Moment zu den gefragtesten Evangelisten in Bachs Oratorienwerken gehört – aber da gelten ganz andere musikalische Gesetze. Und einen besseren Lehrmeister als den legendären Tenor Peter Schreier, der gerade bei der Schubertiade als Liedgestalter Geschichte geschrieben hat, gibt es wohl auch kaum. Von ihm hat Grahl bei seiner „Müllerin“ so viel übernommen, dass es beinahe zur Blaupause wurde – eine Eigenschaft, die sich bei seiner „Winterreise“ relativiert. Bei dieser blitzen immerhin ab und zu Ansätze auf, wie es hätte sein sollen: im sehnsuchtsvollen „Frühlingstraum“ oder der schauerlich anmutenden Szene im „Wirtshaus“, das zum Friedhof wird.

Im Briten Malcolm Martineau am Flügel hat Grahl einen profilierten Mitgestalter an seiner Seite, der die Lieder oft überraschend in ihrer Pausendramaturgie ausdeutet, sie bei verwandten Tonarten oft auch direkt aneinanderhängt wie in einem Potpourri, sich aber sonst auch mit dem ihm wenig vertrauten Grahl nicht ganz wohl zu fühlen scheint. Die übliche lange Pause nach dem letzten Akkord im „Leiermann“ ersetzt fehlende Betroffenheit, dann kommt freundlicher Beifall auf, auch einige Bravos. Echte Begeisterung der Schubertianer schaut anders aus.