Hans Platzgumer: „Eine Art Seelenverwandtschaft“

VN-Interview mit dem Schriftsteller über seinen neuen Roman.
lochau 100 Jahre Kafka, ein Jubiläum, das man zurzeit allerorts feiert – Hans Platzgumer hebt sich hier gekonnt heraus und macht aus Kafkas Tagebücher und Notizhefte mit „Die ungeheure Welt in meinem Kopf“ einen außergewöhnlichen Roman. Im Rahmen einer inszenierten Lesung des Theater Kosmos wird das Buch mit einem Gespräch zwischen Hans Platzgumer und Jürgen Thaler am 28. Juni im Theater Kosmos als Franz-Michael-Felder-Archiv-Veranstaltung vorgestellt.
Warum wurde „die ungeheure Welt“ ein Roman in Dialogform?
In einer ersten Fassung hatte ich das Buch in konventionellerer, auktorialer Erzählform geschrieben. Doch mit etwas Abstand betrachtet, kam mir das dann zu wenig dringlich vor, nicht so immersiv, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ich entschied komplett in die Figuren hineinzugehen, mitten in den Kopf des Taxifahrers hinein. Plötzlich tat sich diese ungeheure Welt dann unausweichlich auf. Ich wurde beim Schreiben/Lesen sogartig hineingezogen. In dieser Mehrstimmigkeit schrieb sich das Buch wie von selber.

Die Fragen haben Sie in letzter Zeit sicher oft beantwortet, aber was fasziniert Sie an Kafka?
Er war ein Eigenbrötler, ging kompromisslos seine eigenwilligen, unorthodoxen Wege und erschuf auf diese Weise ein zwar überschaubares, aber einzigartiges, zeitloses Werk.
Welche Figur ist Ihnen bei Kafka am nächsten?
Kafkas Protagonisten ähneln sich alle. Seine Hauptfiguren sind wie er selbst meist vereinsamt, an den Rand gedrängt, fast Ausgestoßene, schrullige Sonderlinge, die sich in dieser Rolle wohl oder übel zurechtfinden müssen. Ich hege Sympathie für solche Typen, auch in meinen Büchern spielen sie eine Hauptrolle, natürlich auch in der Ungeheuren Welt.
Warum ist der Run auf Kafka nach wie vor ungebrochen?
Ungebrochen ist er nicht, seit vielen Jahren war Kafka kaum mehr präsent. Doch er kehrt in unregelmäßigen Phasen immer wieder – das haben die kanonisierten Weltliteraten so an sich. Ihre Nachwelt hat sie unsterblich gemacht. Zu gegebenen Anlässen tauchen sie wieder auf.
Warum nehmen Sie als Grundlage Ihres Romans Kafkas Tagebücher?
Kafkas Tagebücher/Notizhefte unterscheiden sich teils kaum von seinen veröffentlichten Erzählungen, die ja häufig auch Fragmente blieben. In den Journalen aber ist man noch näher dran an ihm und an der Entstehung seiner Texte, das finde ich ungemein spannend.
Das Setting, vom Taxifahrer bis zur Sängerin, war das von Anfang an gegeben?
Ja, die Tänzerin Eduardowa und wie Kafka von ihr träumte/berichtete, faszinierte mich als Ausgangspunkt der Reise. Und dieser Taxifahrer erschien mir als das ideale Medium, um sie in die Jetztzeit zu transportieren. Damit ging die Fahrt los.
Ich nehme an, Sie haben eine gewisse Nähe zu Kafka, oder?
Ich fühle mich ihm oft fast zu sehr verbunden, eine Art Seelenverwandtschaft. So vieles, das er in seinen Tagebüchern beschreibt, erscheint mir völlig logisch und bekannt. Diese Erkenntnis ist teils erschreckend, teils auch tröstlich.
War der Moment elektrisierend, Kafka in das eigene Werk einzubauen?
Tatsächlich tut es etwas, wenn Kafka plötzlich in seiner Originalsprache mitzumischen beginnt. Er bringt sein ganz unvergleichliches Flair hinein und inspirierte mich sehr beim Schreiben.
In der Musik gibt es solche Beispiele öfters, als in der Literatur, die Samples im Hip-Hop zum Beispiel. Sie „kommen“ ja von der Musik.
Sehr guter Vergleich, ja, in der elektronischen Musik sind die Samples ja auch das inspirierende Grundwerkzeug, mit dem man ganz Neues erschaffen, alte Geister zu neuem Leben erwecken kann. Das hat den gleichen Effekt wie die Kafka-Samples hier. Sie strahlen in ein neues, ganz anderes Werk hinein.
Glauben Sie, hätte Kafka gewollt, dass man mit ihm „arbeitet”?
Ich glaube schon. Er schien in keinster Weise narzisstisch zu sein und war fremdartigen Ideen sicherlich nicht abgeneigt.
Ist Ihnen Kafka schon einmal im Traum begegnet?
Nein.
Wenn Sie eine Frage Kafka stellen dürften, welche wäre das?
Ob er letztendlich gerne alles anders gemacht hätte, als er es gemacht hat, ein anderes Leben geführt, ein anderes Werk erschaffen?
Martin G. Wanko
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Lesung
Ort: Theater Kosmos
Mariahilfstraße 29
6900 Bregenz
Wann: Fr. 28.06.24 um 19:30 Uhr
Karten: +43 5574 4403413 oder karten@theaterkosmos.at r
Preis: 10/12 EUR.
www.theaterkosmos.at
Eine Veranstaltung des Franz-Michael-Felder-Archivs