Gewitter der musikalischen Emotionen

Kultur / 23.06.2024 • 14:30 Uhr
Paul Lewis
Paul Lewis brillierte mit Schuberts letzten drei Klaviersonaten. schubertiade

Paul Lewis und Marc-André Hamelin präsentieren bei der Schubertiade musikalische Meisterwerke.

SCHWARZENBERG Ein Gewitter mit Blitz und Donner bildet bei der Schubertiade am Freitagabend die Begleitmusik zu Schuberts letzten drei Klaviersonaten mit ihrem oft bereits jenseitigen Charakter. Dieses gefürchtete Monsterprogramm mit der Bewältigung der drei jeweils über halbstündigen Werken an einem Abend ist einem der besten Schubertinterpreten unserer Tage anvertraut, dem aus Liverpool stammenden Engländer Paul Lewis (52). Er vollbringt eine Meisterleistung, mit der er den vollen Saal zwei Stunden lang in atemloser Spannung hält.

Paul Lewis
Lewis ist Poet und Virtuose zugleich, erzählend, sanglich und auch mal kräftig zulangend. schubertiade

Schuberts drei letzte Klaviersonaten wurden als sein pianistisches Vermächtnis im September seines Todesjahres 1828 fertiggestellt, jene in c-Moll, in A-Dur und B-Dur. Er hat weder die Drucklegung der Werke erlebt noch deren späteren Erfolg – bereits am 19. November verstarb Schubert 31-jährig in Wien. Die drei Sonaten zählen bis heute zu seinen gewichtigsten und tiefschürfendsten Meisterwerken. Wer die Herausforderung annimmt, sich an einem Abend mit ihnen auseinanderzusetzen, muss neben einer Portion Mut auch unglaubliche Reife besitzen, sensible Anschlagskultur und Ausdrucksvielfalt. Denn es ist nicht so sehr das Technische dieser Stücke, das einen routinierten Pianisten kaum überfordert, sondern vielmehr das Erfassen und Umsetzen des geistigen Gehalts, aus dem alle drei Werke gespeist sind: Hoffnungslosigkeit, Ermattung, Resignation, auch die Ergebung in ein unabwendbares Schicksal.

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Pianistenlegende Alfred Brendel hat in seinen Notizen im Programmheft die drei Werke als große Einheit gesehen, die auch in ihrer Verschiedenartigkeit „aufeinander angewiesen“ sind. Und Brendel war auch der prägende Lehrmeister für Paul Lewis, ohne dass dieser heute als dessen Kopie unterwegs wäre. Er hat sich wohl das Kernrepertoire Brendels mit Beethoven und dem späten Schubert zu eigen gemacht, doch in einem sehr persönlichen Sinne. Lewis ist Poet und Virtuose zugleich, erzählend, wunderbar sanglich, auch mal kräftig zulangend, wo es nottut, aber ganz ohne Kraftmeierei.

Paul Lewis
Der britische Pianist bot einen Abend, der lange nachhält. schubertiade

Und so genießt man denn die vielen liebenswerten Details dieser drei Sonaten, die dem Kenner bekannt sind und die Lewis besonders betont – oft mit solcher Natürlichkeit, als würde er nur präludieren oder improvisieren. Etwa, dass die c-Moll-Sonate „die neurotischste“ der drei sei, wie Brendel meint. Dass der Komponist im Rondo seiner A-Dur-Sonate mit einem so liedhaften Thema, wie es nur ein Schubert ersinnen konnte, plötzlich mehrfach steckenbleibt, als ob er in seiner Verzweiflung nicht mehr weiterwüsste. Oder dass die berühmten tiefen Triller im Kopfsatz der B-Dur-Sonate bei Lewis besonders bedrohlich klingen – wie eine Antwort auf das ferne Donnergrollen draußen, das sich längst verzogen hat. Ein Abend, der lange nachhält.

Marc-André Hamelin
Marc-André Hamelin begeisterte das Publikum mit seiner Komposition „Suite à l’ancienne“. schubertiade

Am folgenden Samstagnachmittag versammelten sich die Musikfreunde, um einen Klavierabend mit Marc-André Hamelin zu erleben. Das Konzert begann mit Werken von Maria Szymanowska. Ihre Polonaise in f-Moll und die Etüde in C-Dur wurden von Hamelin mit Eleganz und Klarheit interpretiert, wodurch die frühen romantischen Einflüsse dieser Komponistin wunderbar hervortreten.
Anschließend wandte sich Hamelin den „Vier Impromptus, D 899“ von Schubert zu. Diese Stücke, die zu den herausragenden Werken der romantischen Klaviermusik gehören, bieten einen guten Einblick in Schuberts kompositorisches Genie. Hamelin spielte sie mit viel Gefühl und Leidenschaft, zeigte jedoch bei einigen Passagen, besonders im berühmten Impromptu Nr. 4, überraschende technische Unsicherheiten und griff einige Male daneben.

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Nach der Pause präsentierte Hamelin Robert Schumanns „Waldszenen“. Der Pianist interpretierte diese Sammlung von neun Charakterstücken mit routinierter Meisterschaft. Hervorstechend war seine Darbietung des „Vogels als Prophet“, bei dem die zarte, fast mystische Atmosphäre des Stücks schön zur Geltung kam, auch wenn insgesamt etwas mehr Ausdruckskraft und Dynamik wünschenswert gewesen wären.

Marc-André Hamelin
Hervorstechend war seine Darbietung des „Vogels als Prophet“. schubertiade

Zum Höhepunkt des Nachmittags wurde zweifellos Hamelins eigene Komposition „Suite à l’ancienne“. Dieses Werk demonstrierte Hamelins außergewöhnliche Vielseitigkeit und sein musikalisches Verständnis für die Musikgeschichte.

Fritz Jurmann / Andreas Marte