Tijan Sila gewinnt den 48. Ingeborg-Bachmann-Preis

“Der Tag, an dem meine Mutter verrückt wurde”.
Klagenfurt Der in Sarajevo geborene und seit 1994 in Deutschland lebende Autor Tijan Sila hat am Sonntag in Klagenfurt den 48. Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen. Sein Text “Der Tag, an dem meine Mutter verrückt wurde” erhielt mit Abstand die meisten Jury-Punkte.

Sie sind in Sarajevo geboren. Wann sind Sie das erste Mal mit der deutschen Sprache in Berührung gekommen, wann haben Sie erstmals auf Deutsch geschrieben?
Tijan Sila: In Berührung? Das war bei unserer Ankunft als Kriegsflüchtling in Deutschland im September 1994. Dass ich auf Deutsch geschrieben habe, muss dann Ende 1994, Anfang 1995 gewesen sein – als ich mit dem deutschen Spracherwerb anfing. Geschichten auf Deutsch zu schreiben, das hat sicher so ein Jahr gedauert. Die ersten Geschichten, die ich geschrieben habe, waren Science-Fiction-Geschichten, weil ich als Kind ein großer Science-Fiction-Fan war. So fing das an.

Was war ausschlaggebend für die Entscheidung, als Ihre Literatursprache Deutsch zu wählen?
Sila: Irgendwann war klar, dass ich nicht nach Bosnien zurückkehren werde. Nachdem so viele Jahre vergangen waren, habe ich gemerkt, dass ich auf Deutsch denke, auf Deutsch träume, dass es meine Primärsprache geworden ist. Wohingegen mein Bosnisch mit 13 Jahren aufgehört hat, sich weiterzuentwickeln. Es war also keine bewusste Entscheidung, es war klar: Ich werde auf Deutsch schreiben.

Mit welchen Erwartungen kamen Sie nach Klagenfurt, und wie haben Sie diese Tage hier erlebt?
Sila: Ich war ziemlich selbstbewusst, was meinen Text anging. Ich wusste, dass ich einen guten Text geschrieben hatte und hatte ein gutes Gefühl. Zugleich konnte ich mir nicht sicher sein – und hab dann auch gemerkt: Die anderen haben auch sehr gute Texte geschrieben. Das heißt, ich war jetzt vier Tage durchgehend angespannt. Ich war sehr nervös, weil ich gelobt worden war, aber nicht wusste, was das konkret bedeutet, wie es sich dann am Ende in die Entscheidung übersetzen wird. Es war stressig. Es ist wirklich herausfordernd. Toll, wirklich toll, aber herausfordernd. Nichts für schwache Nerven, wie man so sagt.

Ihr Text ist ein sehr literarischer, aber auch ein sehr persönlicher. Das legt den Schluss nahe, dass Sie glauben, dass Literatur durchaus etwas bewirken kann – zumindest für den Autor.
Sila: Auf jeden Fall! Mein letztes Buch “Radio Sarajevo” war mein erstes wirklich autobiografisches Buch. Und das nächste wird daran anschließen, an die Zeit, als wir in Deutschland als Flüchtlinge ankamen. Ich muss sagen, für mich war autobiografisches Schreiben, vielleicht auch, weil einige Zeit vergangen ist, etwas sehr Wohltuendes, Heilsames in vielerlei Hinsicht. Es ist nicht unbedingt die beliebteste Position, Literatur als Therapie zu bezeichnen, das ist sie auch nicht, aber für mich hatte sie u.a. auch einen heilsamen Aspekt.

Ihr Text ist ein Auszug aus einem neuen Roman. Wie weit sind Sie? Wann wird er voraussichtlich erscheinen?
Sila: Ich bin noch relativ am Anfang. Es ist die erste Fassung, und ich habe vielleicht die ersten drei, vier Kapitel. Es wird ein bisschen umfangreicher als “Radio Sarajevo”. Er kommt also auf keinen Fall vor 2027.