EU: Finger weg von Kunst und Kultur oder Radikalreform
Heute darf ich eine Passage aus einem Förderungsprogramm der Europäischen Union namens INTERREG zitieren. Ziel des Programmes ist es, die Entwicklung regionaler Strukturen, darunter auch des kulturellen regionalen Lebens zu fördern. Kunstvereine sowie Kulturinitiativen werden dabei in Online-Formularen folgende Klischees auf dem Weg zum Geldsegen mitgegeben. Da tönt es etwa: „Beschreiben Sie das Gesamtziel bzw. das projektspezifische Ziel , das erreicht wird, wenn alle Aktivitäten in ihrem Arbeitspaket etc.,etc.“
Soweit, so schlecht bürokratisch und fantasielos. Weiter geht es seitenweise im keimfreien EU-Pseudostrategiesprech. “Beschreiben Sie das Kommunikationsziel, das zur Erreichung des Gesamtzieles bzw. des projektspezifischen Zieles beitragen wird.“ Das edle europäische Ziel wird auch gleich erläutert: „Kommunikationsziele streben Veränderungen im Verhalten, Wissen oder in der Einstellung des Zielpublikums an“. Klar, Pädagogik ist das mindeste, was Kunst zu leisten hat : Gleichstellung der beiden, der vielen Geschlechter, Nachhaltigkeit, Chancengleichheit, Antidiskriminierung, Klimaschutz etc. inklusive. Schlaumeier und Schlaumeierinnen streichen selbstredend alles an, man ist ja ein guter Mensch oder gute Menschin. Kunst selbst ist da nachrangig. Apropos Künstlergagen, diese dürfen nicht in das Ansuchen aufgenommen werden, da sich diese nicht standardisieren lassen, und damit laut EU – sowie wie das Künstlerdasein auch – nicht „plausibel“ nachvollziehen lassen.
So wird die EU -Kulturförderung zur Kulturverhinderung und zur kafkaesken Beamtenfinanzierung und -selbstbeschäftigungstherapie.
Gerald Matt
Klar, Künstler braucht es ja für Kulturprojekte nicht. Hingegen finden „Sensivity“-trainierte Projektmanager und EU Funktionäre in diesem sich selbst genügenden Förderpingpong ihr hoch dotiertes Auskommen.
Da werden die Einhaltung von Punktesystemen und Paragrafen zum Qualitätskriterium. Da geht es um Projektpartnerschaft, Arbeitsplanung, Projektergebnisse, Ergebnisbeschreibung, Ergebnisindikatoren – blablabla. Die Logik: je mehr Regeln und Kontrolle, desto mehr Beamte. Angeblich werkeln allein in Tirol mehr als 10 Beamte in Sachen EU-Förderung. Und wehe, wenn das EU-Logo auf der Rückseite anstelle der Vorderseite eines Kulturflyers fehlt, dann kann die Finanzierung gestrichen werden. Strafe muss sein. Anträge und Abrechnungen sind selbstverständlich mittels Förderung zu bezahlen. Wer sich durch den Dschungel bürokratischer Schikanen gequält hat, darf dann den Rest vom Schützenfest in Kunst und Kultur investieren.
So wird die EU -Kulturförderung zur Kulturverhinderung und zur kafkaesken Beamtenfinanzierung und -selbstbeschäftigungstherapie.
Auf der Strecke bleibt alles, was Kunst und Kultur ausmacht, Kreativität, unangepasster Widerspruch und Spaß. Sowohl Sprache, Ziele und Bürokratieeskapaden belegen, dass die EU ihre bürokratischen Finger von der Kultur lassen soll oder sich schleunigst einer Totalreform nach dem Vorbild der kunstorientierten Schweizer Pro Helvetia unterwerfen sollte. Denn die aktuelle Europäische Kulturförderpolitik ist ein Todesurteil für die Kunst. Apropos: Dennoch bin ich ein überzeugter Europäer und Bürger der EU.
Gerald Matt
gerald.matt@vn.at
Dr. Gerald Matt ist Kulturmanager und unterrichtet an der Universität für Angewandte Kunst in Wien.
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