Soziale Strukturen, Machtspiele und Fragwürdigkeit

Kultur / 01.11.2024 • 15:01 Uhr
Soziale Strukturen, Machtspiele und Fragwürdigkeit
Fräulein Julie feierte Premiere. anja koehler

Am Vorarlberger Landestheater fand am Donnerstag die Premiere von “Fräulein Julie” statt.

Bregenz Wenn ein Stück gesellschaftliche Strukturen, Macht und Geschlechterrollen thematisiert, dann ist es August Strindbergs 1889 uraufgeführte Tragödie “Fräulein Julie”. Geprägt wurde es vor allem durch die eigenen Erfahrungen des Schriftstellers: Seine erste Ehe mit der Adligen Siri van Essen war durch große Klassenunterschied gezeichnet. Das Stück feierte am Donnerstagabend am Vorarlberger Landestheater Premiere. Regisseurin Birgit Schreyer Duarte versucht dem Klassiker mit ihrer Inszenierung einen modernen Hauch von Gegenwärtigkeit zu geben.

Soziale Strukturen, Machtspiele und Fragwürdigkeit
In dem Stück wurde die Zerissenheit der Figuren deutlich. anja koehler

In einer Mittsommernacht betritt der Diener Jean, der von David Kopp verkörpert wird, die Küche des Grafen. Seine Verlobte, die Köchin Kristin, gespielt von Maria Lisa Huber, hat ihm Kalbsnieren zubereitet. “Heut Abend ist Fräulein Julie wieder verrückt, komplett verrückt”, gibt der Diener von sich. Zunächst empfindet Jean Ablehnung gegenüber der Grafentochter, die Rebecca Hammermüller verkörpert. Doch auch diese Haltung ist gezeichnet von den Hierarchien, eigentlich findet er die junge Julie attraktiv. “Aber ihre Schluchten und wie sie tanzt”, gibt er sogar in der Anwesenheit seiner Verlobten zu. Auch als die Grafentochter selbst in die Küche hineinläuft und verlangt, dass Jean mit ihr trinkt, wehrt er sich zunächst. Die Köchin Kerstin schläft ein – die Machtspiele zwischen Jean und Julie beginnen.

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Maria Lisa Huber spielte die Kristin. anja koehler

Die Adlige verstrickt sich in ein Verhältnis mit dem Diener. Schnell wird ihr bewusst, was sie getan hat. Ein gefährlicher Tanz aus Ablehnung, Verlangen und Klassenkampf entsteht. Doch der Blick des Zuschauers richtet sich nicht auf die Handlung, sondern auf die zerrissenen, widersprüchlichen, teils hysterischen Charaktere. Julie und Jean sind komplexe Figuren, die sich nicht auf eine Eigenschaft festlegen lassen. Sie bleiben nicht bei einer Meinung, sondern ändern ständig ihre Einstellung. Sie sind hin- und hergerissen, zugleich fordernd und abweisend, traurig und hysterisch. Obwohl Rebecca Hammermüller und David Kopp ihre Rollen gekonnt sowie mit präziser Mimik und Gestik spielen, spürt man keine Chemie, die für das Stück von äußerster Bedeutung ist, zwischen den beiden.

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In den Hauptrollen waren Rebecca Hammermüller und David Kopp. anja koehler

Das Bühnenbild von Bartholomäus Martin Kleppek macht die Szenen dennoch interessant für das Auge, besonders die luziden Wände. Bis auf die “Kampfszenen” zwischen Jean und Julie und die tanzenden Tiermasken als Klischee für eine Mittsommernacht, oder gar eine Anspielung auf die animalische Lust, gibt es keine Überspanntheit. Alles läuft auf die gefühlt stundenlange Diskussion zwischen den zwei Hauptcharakteren hinaus. Durch gezielte Musiksequenzen könnte mehr Spannung in das Stück eingebracht werden können – beides kommt etwas zu kurz.

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Das Stück hatte ein paar Tanzeinheiten. anja koehler

Die strengen Hierarchien werden das gesamte Stück über herausgefordert, besonders das Streben nach sozialem Aufstieg steht im Mittelpunkt. Dies wird jedoch gegen Ende noch deutlicher, als Kirstin erfährt, dass Julie und Jean gemeinsam abreisen wollen. Julie versucht, die Köchin zum Mitkommen zu überreden. Doch die Magd weist die Grafentochter mit der Begründung ab, die Gnade Gottes stehe nicht jedem zu und den Reichen schon gar nicht – eine deutliche Kritik Strindbergs an die Macht der Kirche zu seiner Zeit.

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Zwischen Rebecca Hammermüller und David Kopp hat man keine Chemie gespürt, die für das Stück sehr wichitg ist. anja koehler

Als der letzte Satz von Kristin, Maria Lisa Huber, nach dem Tod des Grafen fällt, wirkt dies befreiend auf den Diener. “Jean, du wirst hier nicht mehr gebraucht.” In dieser Inszenierung von der Mittsommernacht schneidet sich Julie weder die Pulsadern auf, noch schluckt sie den Pillencocktail, den Jean für sie zusammengestellt hat. Vielmehr soll die Solidarität zwischen den beiden Frauen im Mittelpunkt stehen, nicht Männer wie Jean. Ob der Regisseurin Birgit Schreyer Duarte die feministische Neuinterpretation von Strindbergs Stück “Fräulein Julie” gelungen ist, bleibt jedoch zur Diskussion.

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Ob die inszenierung gelungen ist, bleibt offen. anja koehler