Der mit dem Fagott tanzt

Kultur / 15.12.2024 • 13:27 Uhr
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In einer Konzertnacht abseits des Weihnachtstrubels verzaubert das Barockorchester Concerto Stella Matutina seine Zuhörer. fritz jurmann

Ein Abend ganz ohne Weihnachtskitsch mit Sergio Azzolini und Concerto Stella Matutina.


GÖTZIS Während sich Konzertveranstalter derzeit landauf, landab darin überbieten, ihr Publikum mit musikalischen Köstlichkeiten zu Advent und Weihnachten in Stimmung zu bringen, hat das Barockorchester Concerto Stella Matutina in den beiden letzten Abo-Konzerten der Saison auf der Kulturbühne AmBach seinen Zuhörern als Kontrapunkt strenge Enthaltsamkeit von Zuckerguß und Glitter verordnet. Die unverfälschte Konzentration galt allein dem Fagott, das schon in der Barockzeit die Rolle des Kobolds unter den Instrumenten innehatte. Der international gefragte Südtiroler Sergio Azzolini, seit 1998 an der Hochschule Basel tätig, machte als Meister seines Faches erstmals in dieser Reihe das Fagott einen kurzweiligen Abend lang mit feinsinnigem Können und launigen Geschichten zu einem unglaublich vielfältigen Partner.

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Der weltweit angesehenen Fagottist Sergio Azzolini erhebt das Fagott zur vielseitigen Hauptattraktion. fritz jurmann

Natürlich könnten fantasie- und humorbegabte Leute beim Fagott gewisse Assoziationen zum Fest spannen, etwa zu einem verspäteten musikalischen Krampus, zum Brummbär aus der weihnachtlichen Spielzeugkiste. Spielt sich nicht. Dafür hat Azzolini eine viel plausiblere Entsprechung für sein historisches Instrument parat, nämlich jene des Arlecchino, des Harlekin aus dem venezianischen Karneval, wie ihn der Italiener Benedetto Marcello in einem seiner erst kürzlich wiederentdeckten Fagottkonzerte verewigt hat. Azzolini macht als Solo-Virtuose diese Figur springlebendig, legt sich in einem gespielten Dialog mit den Musikern an und wagt mit seinem Fagott in kleinen Schritten sogar ein elegantes Tänzchen. Die Musiker des CSM tragen das freudig mit und sind von diesen Neckereien ebenso hingerissen wie das Publikum.

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Die eigentliche Zentralfigur aber ist diesmal der als Vielschreiber bekannte Venezianer Antonio Vivaldi, obwohl von ihm kein einziges Werk erklingt. Es geht um das von ihm ausgelöste „Vivaldi-Fieber“, eine Art Epidemie, die im 18. Jahrhundert halb Europa umfasste und Nachahmer seiner Kunst vor allem auch in der musikalischen Stadt Prag fand. Dort war es die Kapelle am Hof des Grafen Morzin, die Vivaldi persönlich als das „allervirtuoseste Orchester von Prag“ bezeichnete, was auch zum Motto dieses Konzertes wurde. Und prompt macht sich das heutige Concerto Stella Matutina in bester Tradition auf dessen Spuren, geleitet von seinem Gastsolisten, mit enormer Motivation, im gewohnten historischen Klanggewand und einfach auf einem extrem hohen spielerischen Niveau. Im ersten Teil werden Arbeiten des Böhmen Johann Anton Reichenauer Marcellos Fagottkonzerten gegenübergestellt, die dabei in Sachen Einfallsreichtum und kompositorischer Finesse eindeutig punkten können. Besonders interessant ist im zweiten Teil, wie eingefleischte tschechische Barockmeister wie Jan Dismas Zelenka und Frantisek Jiránek ihre eigene Musik quasi durch Vivaldis Brille im italienischen Stil entstehen lassen, ohne dabei ihre eigenen Wurzeln zu verleugnen. Bei Zelenka lockern Solisten des Orchesters das Geschehen effektvoll auf: Konzertmeister David Drabek und Fani Vovoni, Violine, Thomas Platzgummer, Voloncello, Giovanni De Angeli, Oboe, und Meister Sergio Azzolini, Fagott. Zeitlich läuft der Abend zwar etwas aus dem Ruder, für das Publikum hätte er gerne noch etwas länger dauern können.


FRITZ JURMANN